Die Tochter des Magiers
anderen eine Kristallkugel.
So mochte Merlin ausgesehen haben, während er seine geheimen
Ränke schmiedete.
Max hob die Kugel in die Höhe, in der pulsierende Lichter
zuckten, und sprach über die Geschichte der Zauberkunst, über
Bannsprüche und Drachen, Alchemie und Hexerei. Und dann begann die
Kugel zu schweben, wie über die Spitze des Zauberstabs hinaus, wobei
das pulsierende Licht zunächst rot, dann blau, gelb und grün flackerte.
Entsetzt schrie das Publikum auf, als die Kugel abrupt zu Boden
stürzte, doch wenige Zentimeter vor dem Aufprall zog sie schwebend
einen weiten Kreis und stieg langsam wieder höher, bis sie in Max'
ausgestreckter Hand lag. Noch einmal hielt er sie in die Höhe, tippte
mit dem Zauberstab dagegen und warf sie schließlich in die Luft. Die
Kugel verschwand, und ein Schauer aus Silberfunken regnete hinunter auf
die Bühne, ehe alles dunkel wurde.
Als die Lichter wieder aufflammten, stand Roxanne im Kegel
eines Scheinwerfers, in ein silbrig schimmerndes Kostüm gekleidet.
Sterne glitzerten in ihrem Haar, sie hatte die Arme über die Brust
gekreuzt und die Augen geschlossen.
Das Orchester stimmte eine Passage aus Beethovens sechster
Sinfonie an, und Roxanne schlug langsam die Augen auf. Sie sprach über
die Magie der Liebe, über geheime Rituale und fehlgeschlagene Hexerei.
Als sie ihre Arme öffnete und sie in die Höhe hob, stoben Funken von
ihren Fingerspitzen. Ein plötzlicher Wind zerzauste ihr Haar. Neben ihr
wurde im Scheinwerferlicht ein kleiner Tisch sichtbar, auf dem eine
Glocke und eine Kerze standen. Daneben lag ein Buch. Sie wölbte die
Hände, aus denen Flammen zügelten, und hielt sie über die Kerze.
Nachdem sie die Flammen erstickt hatte, begannen sich auf einen Wink
ihrer Hand die Seiten des Buchs umzuwenden, schneller und immer
schneller, bis die Blätter nur so wirbelten. Die Glocke erhob sich vom
Tisch und läutete. Unter dem Tisch flackerten plötzlich aus dem Nichts
drei Kerzen hell auf. Die Flammen stiegen höher und höher und schienen
auf Roxanne überzugreifen. Sie warf die Arme erneut hoch, und alles
verschwand in einer Wolke von Rauch. Im gleichen Moment leuchtete auf
der linken Bühnenseite ein zweiter Scheinwerfer auf, in dessen Licht
Luke sichtbar wurde.
Sein schwarzes Kostüm war mit glitzerndem Gold besetzt.
Make-up betonte seine Wangenknochen und hob seine Brauen hervor. Das
tiefdunkle Haar fiel ihm auf die Schulter. Er sah aus wie eine Mischung
aus einem Satyr und einem Piraten. Unwillkürlich machte ihr Herz einen
verräterischen Satz.
Durch die Rauchwolke voneinander getrennt, standen sie sich
gegenüber. Herausfordernd hatte sie einen Arm ausgestreckt, und von
ihren Fingerspitzen schoß ein Lichtstrahl auf ihn zu, den er
aufzufangen schien. Das Publikum begleitete das Duell mit anhaltendem
Applaus. Langsam bewegten sie sich aufeinander zu, Feuer stob auf, und
das Scheinwerferlicht leuchtete grell wie die Sonne.
Roxanne verdeckte ihre Augen mit den Händen, als wolle sie
sich schützen. Doch dann sanken ihre Arme kraftlos herab, sie begann zu
schwanken, als habe Luke sie in Trance versetzt. Er umkreiste sie mit
erhobenen Händen und ließ sie langsam, ganz langsam zurückweichen, bis
sie plötzlich zu schweben begann und zuletzt kerzengerade ausgestreckt
auf einer blaugrauen Rauchwolke zu liegen schien.
Er vollführte eine rasche Drehung um die eigene Achse, und als
er sich wieder dem Publikum zuwandte, hielt er einen schmalen silbernen
Reif in der Hand, den er über ihren Körper führte. Dann beugte er sich
zu ihr, als wolle er sie küssen. Das hatten sie nicht geprobt. Er
spürte, wie sie sich verkrampfte.
»Verdirb's nicht, Rox«, flüsterte er, riß seinen Umhang
herunter und warf ihn über sie. Einen Moment lang sah man noch die
Umrisse ihrer Gestalt, bevor sie sich aufzulösen begannen. Als der
Umhang zu Boden flatterte, hielt Luke einen weißen Schwan in den Armen.
Hinter der Bühne ertönte ein Donnerschlag, Luke hob seinen
Umhang auf, kauerte sich zu Boden, warf ihn über sich und war
verschwunden.
»Die kleinen Extrazugaben kannst du dir
sparen«, fuhr Roxanne ihn an, sobald sie ihn eingeholt hatte.
»Ach ja?« Er reichte Mouse den Schwan und war froh, daß ihn
das Tier nicht wieder gebissen hatte. »Ich fand es ganz nett. Was
meinst du, Mouse?«
Mouse streichelte den Schwan. Er war der einzige, der sich das
gefahrlos erlauben konnte. »Na ja – ich auch. Jetzt muß ich
Myrtle füttern.«
»Siehst du?« grinste Luke.
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