Die Tochter des Münzmeisters
imposanten Essen beigewohnt hatte, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Um sie herum war ein Meer von Farben, denn die meisten der Männer bevorzugten nicht wie ihr Vater die schlichten, eher dunklen Töne, und so waren die edlen Frauen und Männer gleichermaßen in die gesamte Farbpalette der Natur gekleidet. Neben burgunderroten und senffarbenen Gewändern blitzten überall auch grüne und blaue auf. Die verheirateten Frauen trugen wunderschöne, meist durchsichtige, farbige Schleier, unter denen das Haar oft noch zu erkennen war. Ganz selten entdeckte Hemma auch Frauen mit Hauben, die mit Perlen oder schönen Stickereien verziert waren. Ebenso waren nicht wenige Gewänder mit edlen Steinen oder Perlen geschmückt. Bei den Frauen waren die Ärmel fast durchweg weit geschnitten, und an den Handgelenken funkelten des Öfteren schöne Armreifen in Gold oder Silber und gelegentlich sogar welche mit Edelsteinen in den prächtigsten Farben und Größen. Genauso verhielt es sich mit den Geschmeiden um manch einen schlanken oder auch kräftigeren Hals.
Als sie den großen Saal im Obergeschoss erreicht hatten, staunte Hemma mit weit aufgerissenen Augen. Wie im Saal darunter hingen große, farbenprächtige Teppiche an den sonst kahlen Wänden, und mit den flackernden Lichtern sowie den schön gedeckten, langen Tafeln wirkte der große Festsaal unglaublich beeindruckend. Zu ihrer Erleichterung stand Erzbischof Adalbert mit seinem Bruder, dem Pfalzgrafen Friedrich, am anderen Ende des Saals, wo sie sich mit Papst Viktor unterhielten. Der Heilige Vater gab mit seiner weißen Soutane, um die in Höhe der Taille das ebenfalls weiße Zingulum gebunden war, ein erhabenes Bild ab. Der einzige Farbtupfer an ihm war die scharlachrote Mozetta, unter der das weiße Rochett hervorlugte. Auch der Erzbischof bot einen beeindruckenden Anblick, denn bei ihm stach das violette Zingulum besonders von der schwarzen Soutane ab. In dem gleichen kräftigen Ton war die Mozetta gehalten, die ihm über die Schultern auf das schneeweiße Rochett fiel.
»Komm, Hemma, unsere Plätze sind in der Mitte, an der Fensterseite«, unterbrach ihr Vater ihre Gedanken, und sie folgte ihm zu den Plätzen.
Mittlerweile hatten sich auch die Musiker nach oben begeben. Allerdings blieben ihre Instrumente vorerst stumm, denn das Kaiserpaar fehlte noch. Hemmas Neugierde auf Kaiserin Agnes und ihren Mann stieg von Minute zu Minute. Auf einmal wurde es abrupt still, und alle wandten ihre Aufmerksamkeit dem großen Eingang zu. Hemma hielt den Atem an, als die kaiserliche Familie erschien. Kaiser Heinrich trug ein schwarzes, knielanges Gewand aus edler Seide und darunter bis zu den Knöcheln ein purpurfarbenes Untergewand. In der gleichen Farbe waren seine schwarze Kotte und der Umhang verziert, den eine goldene Fibel über der rechten Schulter zusammenhielt. Eine wuchtige goldene Kette aus kreisrunden Platten blitzte zur Hälfte unter dem Umhang hervor. Die überwiegend dunkle Kleidung hob seine schwarzen Haare und den gleichfalls dunklen, geschorenen Bart noch hervor und verlieh ihm ein unnahbares, respekteinflößendes Aussehen, das der ernste Gesichtsausdruck noch verstärkte. Von seinem Gichtleiden war ihm an diesem Abend nichts anzusehen.
Die Kaiserin erschien dagegen in dunklem Violett. Obwohl Hemma die Farbe nicht besonders mochte, musste sie zugeben, dass sie der Monarchin gut stand. Auf den weiten Hängeärmeln, die am Ende fast bis zu den Knien reichten, waren mit silbernen Fäden Blüten gestickt. Das gleiche Muster fand sich am Saum des knielangen Gewands, und das Unterkleid, das bis auf den Boden reichte, war in denselben Farben gehalten, allerdings spiegelverkehrt. Eine Kette mit wunderschönen Perlen und silbernen Blüten schmückte den schmalen Hals der Monarchin.
Agnes war ungefähr im selben Alter wie Hemmas Mutter und von derselben Ernsthaftigkeit umgeben, so als ob kein Ereignis der Welt sie ins Schwanken bringen könnte. Die Kaiserin galt wie ihr Gemahl als besonders pflichtbewusst und sehr fromm. Ihr Vater, Wilhelm V., zählte zum Zeitpunkt ihrer Geburt zu den mächtigsten Herzögen im Königreich Frankreich. Sie wuchs im Herzogtum Aquitanien auf und erhielt nicht nur eine gute und umfassende Bildung, sondern auch eine Erziehung, die sich auf ausgeprägte Frömmigkeit stützte. Während Hemma, wie alle anderen Frauen im Saal, in einen tiefen Knicks versunken war, flüsterte sie ihrem Vater zu: »Die beiden sehen sehr beeindruckend
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