Die Tochter des Münzmeisters
verraten und ihn gerade noch rechtzeitig vor der Dummheit bewahrt, ihr den seinen zu nennen. Schließlich konnte er nicht sicher sein, ob ihr der volle Name nicht bekannt war. So erfuhr sie nur von ihm, dass er Dietbert hieß und sich auf dem Weg nach Magdeburg befand.
Leider war der Regenguss nur kurz, doch zu seiner Freude hatte er sie noch ein Stück begleiten dürfen. Von einer Minute auf die andere war er rettungslos verliebt!Nach langem Grübeln blieb ihm nur ein Ausweg – und die Hoffnung, dass sie ihm seinen Vater verzeihen möge. Ein Vater, der den Namen nicht verdient und sogar den Tod seiner eigenen Frau zu verantworten hatte. Dietbert selbst konnte ihm bis heute nicht verzeihen, und jedes Mal, wenn er an den Todestag seiner Mutter dachte, stieg erneut unbändige Wut in ihm auf. Nicht wegen seiner Mutter, obwohl er vielleicht auch dazu Grund gehabt hätte, aber ihr hatte er schon längst verziehen. Die Wut galt vor allem seiner eigenen Person, denn vor lauter Angst und Feigheit hatte er es in all den Jahren nicht fertiggebracht, seinen Vater zum Teufel zu schicken. Dass Burchard von Hanenstein seit geraumer Zeit in der Hölle schmorte, dessen war sich Dietbert sicher, das hatte er Goswin von Gosenfels zu verdanken.
Langsam glitten seine Gedanken wieder zu dem Tag auf der Burg Hanenstein zurück, an dem er als dreizehnjähriger, ängstlicher Junge im Nachbarzimmer gelauscht und mit weit aufgerissenen Augen die Vorgänge durch einen Spalt in der morschen Wand beobachtet hatte.
Die Luft in dem kleinen Zimmer war heiß und stickig, denn die dicken, trockenen Äste im Kamin brannten, aber der Abzug funktionierte nicht mehr richtig. In dem Bett, dem einzigen Möbelstück im Raum, lag eine Frau. Sie war erst neunundzwanzig Jahre alt, aber ihre langen braunen Haare waren bereits von vielen grauen Strähnen durchzogen. Einzelne davon hatten sich aus dem straff geflochtenen Zopf gelöst und klebten nun auf ihrem schweißnassen Gesicht. Die Augen hielt die Kranke meistens geschlossen, doch wenn sie sie ab und zu öffnete, glänzten sie fiebrig.
An ihrem Bett standen zwei Männer, einer an jeder Seite. Ein dritter verharrte an einer schmalen Fensteröffnung, durch die die kühle Nachtluft hereinkam. Der Mann hatte sich gegen die dicke Mauer gelehnt und starrte aus dem schmalen Schlitz. Viel konnte man nicht draußen erkennen, denn die meisten seiner Pächter hatten sich bereits schlafen gelegt. Nur gelegentlich flackerte ein kleines Licht auf, wenn einer der Wachhabenden über den Hof zu seinem Posten auf einem der beiden Türme ging.
Burchard von Hanenstein mied den Blick auf die Sterbende, nicht weil es ihn zu sehr schmerzte, sondern weil es ihn anwiderte, damit seine Zeit zu verschwenden. Selbst mit ihrem Tod ließ sie sich noch Zeit, ebenso wie mit der Geburt ihres einzigen Sohnes.
Drei Jahre hatte er warten müssen, bis er seinen Nachfolger in den Armen halten konnte. In den Jahren davor musste er zwei Totgeburten verscharren lassen. Doch es sollte alles noch viel schlimmer kommen. Von den acht Schwangerschaften, die sie in den Jahren nach der Geburt seines Sohnes hatte, waren drei Fehlgeburten, zwei Kinder kamen tot zur Welt und die anderen drei, bei denen es sich durchweg um Mädchen gehandelt hatte, starben innerhalb der ersten drei Lebensjahre. Er hatte nicht um sie getrauert. Sie waren schwach gewesen, und sein Ärger darüber, dass er noch immer nur Vater eines einzigen Sohnes war, steigerte sich von Jahr zu Jahr.
Er war ganz sicher in der Lage, Söhne zu zeugen. Schließlich gab es unter den Kindern, die auf seinem Land lebten, mindestens fünf männliche Bastarde. Nur seiner Frau war es anscheinend nicht möglich, ihm weitere Söhne zu gebären. Selbstverständlich lag die Schuld bei ihr, und er war sich sicher, dass sie ihn absichtlich damit quälen wollte.
Adelheid hatte ihn nie geliebt, weder am Anfang ihrer Ehe, als sie mit dreizehn Jahren seine Gemahlin wurde, noch im Laufe der Zeit. Im Gegenteil, die einzigen Gefühle, die sie für ihn hegte, waren Angst und Hass. Grenzenloser Hass, dessen war er sich sicher. Doch nun würde er bald frei sein. Vor fünf Tagen war sie auf der Treppe, die von ihrer Kemenate ins Erdgeschoss führte, gestolpert und hatte sich beim Sturz böse verletzt. Ein Bein war gebrochen, mehrere Rippen ebenfalls. Das alles würde heilen mit der Zeit, aber von den morschen Stufen hatte sich ein großer Holzsplitter in ihr linkes Bein geschoben. Die Wunde fing an zu eitern,
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