Die Tochter des Münzmeisters
wie von Gott persönlich berufen.«
Überrascht erwiderte Goswin den Blick. »Mir war nie bewusst, dass du dieses Ereignis noch so gut in Erinnerung hast. Schließlich warst du damals erst acht Jahre alt und nicht weiter an solchen Dingen interessiert. Zuder Zeit war ich noch voller Bewunderung für den Erzbischof, und er hätte mich auch all die Jahre nach Vaters Tod weiterhin protegiert, wenn ich es zugelassen hätte. Seltsam, wäre ich nicht so verblendet gewesen, hätte mir schon bei seinem Auftritt bei der Messe sein berechnender Charakter auffallen müssen. Vater hatte ihn von Anfang an durchschaut.«
»Vater war an dem Tag ungemein stolz auf dich. Ich habe gesehen, wie sein Blick voller Bewunderung auf dir ruhte.«
Diese Worte berührten Goswin mehr, als er zeigen wollte, und zusammen mit seinem Bruder durchlebte er dieses Ereignis noch einmal.
Bei der Trauerzeremonie in der Stiftskirche blieben die Bänke für die kaiserliche Familie rechts vom Altar dieses Mal leer, dafür waren ein paar zusätzliche Bänke direkt vor dem Altar aufgebaut. Dort sollten Gottwald mit seiner Familie sowie einige andere hohe Würdenträger Platz nehmen, während das einfache Volk stehen musste. Erzbischof Adalbert machte von seinem Privileg Gebrauch und wollte die Totenmesse für seinen Bruder höchstpersönlich lesen, wobei Goswin ihm als Messdiener direkt zur Seite stehen sollte.
Die Aufregung über die unerwartete Ehre stand dem sechzehnjährigen Sohn Gottwalds deutlich ins Gesicht geschrieben. Zur großen Verwunderung des Vogts war der Erzbischof noch nicht anwesend, dabei war die Stiftskirche bereits gut gefüllt. Es hatte sich herumgesprochen, dass eine prunkvolle Bestattung bevorstand, so etwas wollte sich kaum einer entgehen lassen.
Graf Dedo lag, in vornehme Kleider gehüllt, die Stichwunde am Hals gut verdeckt, aufgebahrt hinter dem Altar. Die rituelle Waschung hatten sie bereits in Palitha durchgeführt. Gottwald trug sein bestes knielanges Gewand aus dunkelblauer Seide über einem knöchellangen, grau schimmernden Unterkleid, das an beiden Seiten geschlitzt war. Dass ihm ein Arm fehlte, fiel bei diesem Kleidungsstück kaum auf. Ein mit kleinen Silberbeschlägen verzierter dunkler Ledergürtel vollendete seine elegante Erscheinung.
»Brun, sitz still!«, wies seine Gemahlin ihren jüngsten Sohn zurecht.
Edgitha sah in ihrer schlichten, sehr edlen seidenen Kotte unglaublich gut aus. Gottwald ließ den Blick über ihren durchsichtigen dunkelgrünen Schleier gleiten, dessen lange Falten ihre schönen kastanienbraunen Haare verbargen. Das Gewand mit den weit geschnittenen Ärmeln war aus dem gleichen grünen Ton, und ihre Taille betonte ein perlenbesetzter Gürtel. Von dem cremefarbenen Hemd, das sie darunter trug, war nur der spitzenbesetzte Saum zu sehen.
Die Familie hatte gerade Platz genommen, als ein Raunen durch die Menschenmenge hinter ihnen ging und Gottwald sich wie alle anderen umdrehte. Im selben Augenblick setzte der chorale Gesang ein, und der Erzbischof betrat die Stiftskirche durch den Haupteingang, gefolgt von mindestens zehn Priestern und Diakonen sowie mehreren Messdienern. Doch nicht etwa der Einzug rief das Erstaunen bei den Leuten hervor, sondern die Erscheinung Adalberts.
Anstatt der üblichen prunkvollen seidenen Albe unter einer reich bestickten Dalmatik und der Mozetta trug er ein schlichtes Büßergewand aus grobem grauem Leinen, unter dem bei jedem Schritt seine nackten Füße hervorlugten. Angesichts der Hitze des Tages beneidete Gottwald ihn fast um das luftige Hemd. Allerdings verschönerte eine perlenbestickte Stola das ärmliche Gewand. Einzig die Mitra, unter der sich vereinzelte Schweißtropfen ihren Weg über das hochrote Gesicht Adalberts bahnten, und der Bischofsstab zeugten von seinem hohen Kirchenamt. Ein Stück hinter ihm schritt zwischen den anderen Messdienern Goswin mit einem Weihrauchfässchen in der Hand, das er mit ernster Miene hin und her schwenkte.
Als einem von wenigen der hier Versammelten war Gottwald die Tatsache bekannt, dass der ehrwürdige Kaiser Heinrich bei der Beerdigung seiner Mutter ebenfalls barfuß und im Büßergewand bekleidet erschienen war. Auf das königliche Purpur hatte er seinerzeit verzichtet. Der Vogt wusste auch, dass der fromme Kaiser aus ehrlicher Überzeugung gehandelt hatte. Ihm kam der spontane Gedanke, dass es sich beim Erzbischof sicher anders verhielt, denn er kannte Adalbert zu gut. Bei diesem Mann steckte hinter jeder seiner
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