Die Tochter des Münzmeisters
zehn bis fünfzehn Reiter. Wieso hier? Ich kapiere das nicht! Für eine Gruppe dieser Größe reichen die Lebensmittelvorräte auf diesem Hof wohl kaum länger als einen Tag. Vieh gab es hier kaum, und die Armut der Leute war schon von weitem zu erkennen.«
»Gerade das sollte dir eine Warnung sein. Wenn sich so viele Männer auch ohne große Überlegungen ihre Ziele aussuchen, wird sie der Palisadenzaun um deinen Hof auch nicht abschrecken.«
Mit seltsamem Blick sah Goswin seinen Bruder an und schüttelte dann langsam den Kopf. »Das alles passt nicht zusammen, egal, wie man es dreht und wendet. Woher wusste Graf Hermann von den Gesetzlosen? Und dann der Northeimer, dessen Mahnung mehr als seltsam ist!«, begehrte Goswin erregt auf und ging zurück zu den Pferden.
Brun, der ihm langsam folgte, erwiderte: »Randolfs Gut ist durch die hohe Steinmauer fast wie eine kleine Festung geschützt, zudem stehen zehn bewaffnete Männer in seinem Sold. Darüber verfügst du nicht. Überlege es dir noch einmal, Bruder, ich bitte dich inständig!« Er sah seinem Bruder in dem Licht der einsetzenden Dämmerung fest in die Augen.
Goswin, der den Blick erwiderte, ahnte sicher nichts von dem Kampf, der im Inneren seines Gegenübers tobte.
Brun atmete tief durch, und plötzlich war alles ganz einfach. Ruhig, fast schon gelassen brachte er den einen Satz hervor, der ihn schon so lange quälte. »Ich willnicht noch einmal die Schuld am Tod eines oder mehrerer Familienmitglieder tragen müssen. Verstehst du das denn nicht?«
Er bemerkte die Verwirrung in Goswins Gesicht, die nach und nach Erleichterung wich, was er nicht verstehen konnte. Im selben Augenblick spürte er, wie sich die Hand seines Bruders schwer auf seine Schulter legte, und hörte die Worte, nach denen er sich seit dem Tod seines Vaters gesehnt hatte.
»Du hast mich mehrfach inständig gebeten und kannst ebenso wenig für meine Sturheit, auf dem Hof zu bleiben, wie für das Unglück, das unsere Familie zu erleiden hatte. Das Gleiche gilt für unsere arme Schwester und letztendlich auch für mich! Ich habe immer angenommen, dass dir meine Sicht der Dinge längst klar ist. Du warst damals ein Kind, und wenn sich jemand schuldig fühlen sollte, dann ja wohl ich! Schließlich war ich derjenige, der blind und taub war, sonst hätte ich Hemmas Glück nicht zerstört. Quäle dich nicht weiter, ich bitte dich, sondern erfreue dich an dem, was uns geblieben ist!«
Überwältigt von seinen Gefühlen umarmte Brun seinen Bruder stumm und wischte sich verschämt über die Augen. »Geht es dir auch so, wenn du unserer Nichte in die Augen siehst? Ich habe jedes Mal das Gefühl, als würde Esiko vor mir stehen.«
Goswin nickte und drückte aufmunternd Bruns Hand. »Ich sehe nicht nur ihn in Henrika, auch Hemma blickt mich ganz oft an – so sehr, dass es schmerzt. Sogar unseren Vater habe ich des Öfteren in unserer Nichte entdeckt. Sie hat so eine Art, alles in sich zu vereinen, und ist ein Mensch, den man einfach lieben muss. Ihr sollte unsere Sorge gelten.«
Auf dem Rückweg erzählte er seinem Bruder nochmalsausführlich von Dietberts Antrag und dem mutigen Eintreten ihrer Mutter.
Als die beiden Männer endlich mit Mathilda und den Kindern Goswins Hof erreichten, war es bereits weit nach Mitternacht.
Vor der Tür, die der Wächter wieder sorgfältig verschlossen hatte, atmete Randolf tief aus und beobachtete, wie sich in der kalten Luft des Kellergangs eine kleine Wolke bildete. Er straffte sich und befahl dem Wärter mit schneidender Stimme: »Jetzt will ich den Kerker sehen, in dem sich die Gefangenen aus der Siedlung unten am Fuße des Berges befinden.«
Misstrauisch beäugte der Mann ihn, so dass der Ritter schon mit einer Weigerung rechnete und nach dem Schriftstück des Burgvogts greifen wollte, da zuckte der Wärter die Schultern und ging die Stufen hinab. Erleichtert folgte Randolf, denn von Irmingard hatte er erfahren, dass er den Bauern hier finden würde. Die schweren Schritte des Wärters hallten laut von den Wänden des Ganges wider, bis er vor einer dicken Holztür stehen blieb. Auch hier war ein schwerer eiserner Riegel angebracht, der mit einem ebensolchen Vorhängeschloss versehen war. Nachdem der Mann die Tür mit einem lauten Knarren geöffnet hatte, trat Randolf entschlossen ein. Sofort umfing ihn ein Geruch, der ihn an verwesendes Fleisch erinnerte. Er hielt den Atem an und versuchte sich in dem fast stockfinsteren Raum zurechtzufinden, den allein
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