Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Dokument, nicht auf traditionelle Weise zusammengerollt, sondern sauber gefaltet. Das Papier war aus modernem Material, die Schrift schwer lesbar und eng, von der Schreibart eines Mannes, der seine Tage damit verbrachte, Geld zu zählen, nicht die schwungvoll hingeworfenen Pinselstriche eines Schwertkämpfers oder Kalligrafen.
Seid gegrüßt. Wir hoffen, dass diese Herbstzeit Madame Kitaoka bei bester Gesundheit antrifft, und möchten unsere aufrichtige Dankbarkeit für all die Freundlichkeiten ausdrücken, mit denen Madame geruht hat, uns zu überschütten. Wir entschuldigen uns zutiefst für unser bisheriges Schweigen bezüglich der Heirat von Madames ehrbarer und tugendhafter Tochter mit dem unwürdigen jungen Herrn unseres Hauses. Uns erreichte die Nachricht, dass der junge Herr Eijiro nach Kyushu zurückgekehrt ist, um sich Fürst Kitaoka anzuschließen, und wir verstehen vollkommen, dass Madame wünschen wird, alle Heiratspläne bis zu dessen sicherer Heimkehr zu verschieben. Wir möchten Madame keinerlei Unannehmlichkeiten bereiten, noch sie in Verlegenheit bringen, und sind daher durchaus einverstanden, bis zur sicheren Rückkehr des jungen Herrn Eijiro alle Heiratspläne in der Schwebe zu halten. Wir werden uns nicht in den Weg stellen, sollte das ehrbare Haus Kitaoka sich entschließen, sich anderweitig umzuschauen. Gezeichnet am dreizehnten Tage des zehnten Monats, Hiroyuki Hashimoto, Bürovorsteher im Hause Shimada, Bank- und Handelsgesellschaft.
Taka musste die Worte mehrmals lesen, bevor sie deren Sinn verstanden hatte. Diesen Brief zu verfassen, muss viel Zeit gekostet haben, dachte sie. Er war sorgsam formuliert, damit niemand das Gesicht verlor, doch die dahinterstehende Absicht war unmissverständlich. Masuda-sama zog also sein Angebot zurück. Nachdem ihr Vater jetzt im gleichen Atemzug mit Geächteten und Rebellen genannt wurde, war eine Verbindung mit dessen Familie das Letzte, was die Shimadas wollten. Weit davon entfernt, eine begehrenswerte Partie zu sein, war Taka zur Ausgestoßenen geworden. Überraschend war nur, dass der Brief nicht früher eingetroffen war.
Taka atmete schwer. Die Abfuhr war verletzend, aber bedeutete auch eine Gnadenfrist. Ihr Plan – vorzugeben, erpicht auf die Heirat zu sein, damit sie in Tokyo bleiben konnte – hätte vollkommen schiefgehen können, das erkannte sie jetzt. Wenn Masuda-sama sich nicht zurückgezogen hätte, hätte sie ihn schließlich heiraten müssen. Sie war noch einmal davongekommen.
Doch statt erleichtert zu sein, überkam sie Angst, als hätte sie sich gegen einen großen Felsblock gestemmt, der plötzlich nachgab und sie schwankend am Abgrund zurückließ. Zitternd schlug sie die Hände vors Gesicht, entsetzt über die sich vor ihr öffnende Leere. Sie war so damit beschäftigt gewesen, für die Rettung vor dieser Heirat zu beten, dass sie gar nicht daran gedacht hatte, was sie tun würde, wenn ihre Gebete erhört wurden. Jetzt war das geschehen – und sie hatte nicht die geringste Ahnung, was aus ihr werden würde.
Jeder Strom hat seine Tiefen und Untiefen, rief sie sich ins Gedächtnis, versuchte Beruhigung bei einem der Sprichwörter zu finden, die Nobu in seiner so anrührend altmodischen Weise zu zitieren pflegte. An ihn zu denken, schmerzte immer noch. Nach ihren beiden romantischen Treffen hatte sie Monat um Monat darauf gewartet, dass er wiederkam, hatte sich in ihren Tagträumen vorgestellt, wie sie zusammen durchbrennen würden, genau wie es die Menschen in den alten Geschichten taten. Aber er war einfach verschwunden, wie schon zuvor, hatte sich in Luft aufgelöst. Er hatte ihr nicht mal eine Nachricht geschickt. Sie konnte nicht glauben, dass er so grausam war. Ihr kam ein schrecklicher Gedanke – dass man ihn an die Front geschickt hatte und er vielleicht gefallen war. Doch selbst das war besser, als zu glauben, er würde sie nicht mehr mögen.
Vielleicht hätte sie nicht so darauf drängen sollen, die Hochzeit zu verschieben. Masuda war ein durchaus ansehnlicher Mann. Taka hielt weiter die Hände vors Gesicht und stieß einen langen, schaudernden Seufzer aus. Wenigstens wäre die Ehe ein vertrautes Schicksal gewesen. Doch stattdessen sah sie nun, wie sich das Leben vor ihr erstreckte, eine leere Straße, lang und öde, ohne Heirat und ohne Nobu.
Zumindest brauchte sie ihre Gefühle nicht mehr zu verbergen. Ihre Mutter würde einfach annehmen, Taka wäre verstört über das abrupte Ende all ihrer
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