Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
auf der Zunge. Fleisch unterscheidet sich wirklich kaum von Aal, weißt du. Stell es dir als Bergaal vor, dann wird es leichter runtergehen.«
Rauchkringel stiegen über dem brutzelnden Fleisch auf. Tante Kiharu nahm ein Stückchen, tauchte es in rohes Ei, steckte es sich in dem Mund und schmatzte. Taka griff sich einen Streifen zähes Fleisch und zerrte es mit dem Stäbchen auseinander. Es schmeckte überhaupt nicht wie Aal, aber wenn sie es sich fest genug einbildete, konnte sie so tun als ob.
21
Am nächsten Morgen, als der Dienstbote die Tokyoter Tagesnachrichten für ihre Mutter brachte, lief Taka hinter ihm her und riss ihm die Zeitung aus der Hand. Das Blatt war randvoll mit Nachrichten über Maebara und seine fehlgeschlagene Rebellion. Taka war so vertieft in die Zeitung, dass sie zu spät zur Schule aufbrach. Als sie in die Rikscha stieg, konnte sie nur noch an das Gespräch denken, das sie am Tag zuvor mit angehört hatte. Sie überlegte, welche Auswirkungen diese neue Wendung der Ereignisse wohl auf ihr Leben haben würde.
Kijibashi, ihre Schule, war drei Jahre zuvor eröffnet worden, um die Zeit herum, als Takas Vater nach Kyushu aufgebrochen war. Ihre Mitschülerinnen stammten alle aus wohlhabenden, mächtigen Familien mit Vätern, die aufgeschlossen genug waren, für die Ausbildung ihrer Töchter zu zahlen. Einige waren gelangweilte Aristokratentöchter aus Kyoto, andere die der Daimyo-Kriegsherrn, jetzt eingesetzt als Provinzgouverneure. Doch die meisten waren, wie Taka, Töchter der neuen Elite, der Samurai aus dem Süden, die im Bürgerkrieg gekämpft, gesiegt und trotz ihrer bescheidenen Herkunft nach der Macht gegriffen hatten.
Während Taka ihre Stiefel am Tor der ausgedehnten Tempelanlage aufknöpfte, in der die Schule untergebracht war, hörte sie Stimmen durch die dünnen Holzwände dringen.
»Diese Rebellion in Hagi.« Sie schrak zusammen und schaute auf, spitzte die Ohren, um genau mitzubekommen, was da gesagt wurde. »Ihr ratet nie, wer der Anführer war.«
»Ratgeber Maebara. Stellt euch das vor! Der kam früher sogar zu uns nach Hause.«
Taka erkannte die Stimmen. Nicht die Mädchen aus Kyoto, die waren viel zu vornehm, um auch nur das geringste Interesse an Politik zu haben. Das waren die Töchter der Samurai aus dem Süden, ihre engsten Verbündeten und Freundinnen, die bei den intensiven politischen Diskussionen zu Hause zuhörten und deren im Staatsdienst stehende Väter wussten, was passierte, lange bevor alle anderen es erfuhren. Aber für gewöhnlich redeten diese Mädchen über ihre Schularbeit, tratschten über Lehrer oder einander. In der Schule sprach sonst niemand über Politik.
Eine andere Stimme fiel ein. »Vater sagt, es wird einen neuen Krieg geben, und alle wissen, wer dahintersteckt. Nämlich General Kitaoka. Er ist ein Verräter, das sagen alle.« Entsetzt schnappte Taka nach Luft. Sie erkannte die derben Vokale – Okimi mit ihrem kurz geschnittenen Haar und den hochgekrempelten Ärmeln, die sich für kühner und unkonventioneller hielt als alle anderen. Ihr Vater war ein führendes Mitglied der neuen Regierung und ein enger Freund von Takas Vater gewesen. Okimi war Takas beste Freundin gewesen, bis ihre Väter sich zerstritten hatten.
»Er will alles zerstören, was wir erreicht haben, und uns in die Feudalzeit zurückführen!« Das kam von der gertenschlanken Ofumi, der bebrillten Tochter eines Regierungsministers, die sich stets aufführte, als wäre sie etwas Besseres.
Immer mehr Stimmen erhoben sich, bis das Gewirr durch die Gänge und Klassenzimmer hallte und gegen Takas Ohren hämmerte. »Kitaoka ist ein Verräter, ein abscheulicher Verräter.«
Taka blieb noch einen Moment auf den Knien, mit hochrotem Gesicht und wild klopfendem Herzen. Sie konnte nicht fassen, dass sich ihre ehemaligen Freundinnen so heimtückisch gegen sie gewandt hatten. Wütend trat sie ihre Schuhe weg und schob mit einem Knall die Tür zum Klassenzimmer auf. Ein Meer anklagender Blicke brandete ihr entgegen und zog sich rasch wieder zurück.
»Mein Vater ist kein Verräter«, schrie sie, kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Er hat Prinzipien. Er schied aus der Regierung aus, weil er mit dem, was sie tat, nicht einverstanden war. Wenn ihr meinen Vater einen Verräter nennt, sind eure Väter Gauner.« Die Worte sprudelten einfach so aus ihr heraus. Ihr fiel alles wieder ein, was ihr Vater gesagt hatte. »Sie lassen sich von den Banken und Finanzunternehmen bezahlen. Sie haben
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