Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Trotzdem hatte es ein Band zwischen ihnen geschaffen. Ein paar Worte mit ihm zu wechseln, würde nichts schaden. Und sie war neugierig, sein Gesicht bei Tageslicht zu sehen, das Gesicht dieser schemenhaften Gestalt, die sie so leidenschaftlich an sich gedrückt hatte.
Signalhörner ertönten, und die Männer traten zurück, um Platz für den General, ihren Vater, zu machen. Breitbeinig stand er da, den mächtigen Brustkorb vorgewölbt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, riesig und massiv wie ein Berg. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
»Es schneit.« Seine Stimme dröhnte, hallte von den Gebäuden um den Platz wider. Stille trat ein, als hätten die Männer etwas Bedeutsameres erwarten, gefolgt von einem so brüllenden Lachen, dass es die Luft erschütterte. Er wartete, bis das Lachen verebbte. Sein Gesicht war ernst.
»Schnee fiel an dem Tag, als die siebenundvierzig Ronin Rache nahmen, und es schneit auch heute. Das ist ein Zeichen, dass unsere Herzen rein sind und unsere Sache gerecht ist. Die Götter sind auf unserer Seite.«
Während sie zuhörte, erinnerte sich Taka, dass Nobu ihr die Geschichte der siebenundvierzig herrenlosen Samurai erzählt hatte und wie sie Jahre darauf warteten, bis die Zeit reif war, ihre blutige Rache auszuführen. Fast konnte sie Nobus junge Stimme hören und seine großen, ernsten Augen sehen. Sie trug ihn immer noch im Herzen, erkannte sie, ganz gleich, was mit Kuninosuké geschehen war. Sie gehörten zusammen.
Am Tag des Rachefeldzugs der Ronin hatte es einen Schneesturm gegeben. Als hätten die Götter die Reinheit der Tat jener treuen Krieger dadurch gutheißen wollen, dass sie die Stadt in makelloses Weiß hüllten. Jeder kannte die Geschichte und die darin enthaltende Symbolik, und wie die Männer, nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatten, dazu verurteilt worden waren, durch rituellen Selbstmord zu sterben. Sie waren in den Tod gegangen wie in die Umarmung einer Geliebten.
In der Stille schnaubten Pferde und scharrten mit den Hufen. Schnee lag in dicken Schichten, warf seinen überirdischen Glanz auf alle Gesichter. Taka schaute sich um. Viele der Männer waren so jung wie sie, manche jünger, alle blickten mit feurigen Augen zu ihrem Anführer auf, voller Ungeduld loszuziehen, ebenso zum Kampf und zum Sterben bereit, wie es die Ronin gewesen waren. Ein Schauder überlief sie, und sie fragte sich, ob sie je einen von ihnen wiedersehen würde.
»Heute marschieren wir nach Tokyo.« Der General hatte wieder die Stimme erhoben. »Skrupellose Männer haben die Regierung unseres Landes übernommen, und wir müssen sie ihnen entreißen. Wir werden uns diesen Verrätern entgegenstellen, werden sie fragen, warum sie Meuchelmörder geschickt haben, um uns anzugreifen und unsere Lebensart zu zerstören. Wir werden die Wiedereinführung der alten, reinen Gebräuche fordern. Und wenn sie unsere Forderungen nicht erfüllen, werden wir im Namen des Kaisers gegen sie kämpfen.«
Voller Stolz blickte Taka zu ihm auf. Seine Augen loderten.
»Wir sind die Samurai aus Satsuma, die besten des Landes.« Jubel brandete auf, gefolgt von dumpfen Aufschlägen, als Schneeklumpen von den Ästen der hohen Bäume auf dem Burggelände zu Boden krachten. »Wir haben uns Tag und Nacht im Schwertkampf geübt. Wir haben in vielen Schlachten gekämpft und gesiegt …« – ein weiterer gewaltiger Jubel übertönte seine Worte – »und wir werden auch diesmal siegen. Zwei Divisionen sind bereits aufgebrochen und marschieren nach Norden. Wir sind fünfzehntausend Mann stark – sieben Infanteriebataillone plus Artillerie und Unterstützungstruppen. Und Tausende mehr werden sich uns auf dem Marsch nach Tokyo anschließen. Unsere Packpferdtreiber sind alle Freiwillige. Selbst viele unserer Frauen und Kinder wollen mit uns kommen. Unsere Sache ist gerecht und unsere Kampfkraft überwältigend. Und wenn wir sterben, wird unser Tod glorreich sein. Besser in Ehre zu sterben, als in Schande zu leben!«
Die Männer brüllten, jubelten, stampften mit den Füßen und den Gewehrkolben auf den Boden. Der Lärm war ohrenbetäubend. Taka traten Tränen in die Augen, und auch sie schrie, begeistert davon, Teil einer so glorreichen Schar zu sein, stolz darauf, die Tochter eines solchen Anführers zu sein.
Als das Getöse abebbte, trat Taka vor. Frauen bahnten sich einen Weg durch die Reihen, schoben Taschentücher und Amulette in die Hände der Männer, wünschten ihnen Glück. Die Leibwächter hatten sich
Weitere Kostenlose Bücher