Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
zu guten Erinnerungen verhalf, ihn mit Freundlichkeit auf den Weg schickte.
Behutsam machte sie sich aus Kuninosukés Armen frei und blickte lächelnd zu ihm auf. »Ich werde an Sie denken«, sagte sie. »Ich werde für Ihre Sicherheit beten.«
»Dieses Gesicht werde ich nie vergessen«, flüsterte er. »Ich werde es in meinen Gedanken bei mir tragen, solange ich lebe.«
Auf der anderen Seite der Straße erloschen die Lichter in dem Haus, in dem Takas Geisha-Freundin Toshimi die Gäste unterhielt.
»Ich muss gehen«, flüsterte Taka.
Sie überquerte die Straße. Als sie stehen blieb und zurückschaute, sah Kuninosuké ihr nach, eine hochgewachsene Gestalt, die sich schemenhaft gegen die Dunkelheit abhob.
28
Am nächsten Morgen wachte sie mit einem Ruck auf. Da war etwas, das sie tun musste, etwas Dringendes. Noch war der erste Hahnenschrei nicht erklungen, aber ein eigentümliches Licht drang zwischen den hölzernen Regentüren und durch die Shoji herein. Gedämpfte Schritte tappten vorbei, leise wie Katzenpfoten.
Taka schlug das modrige Bettzeug zurück, schob die Türen auf und schaute hinaus. Schnee, der in großen Flocken fiel, die Dächer, Vorsprünge und Fensterbretter der Häuser auf der anderen Seite des Weges bedeckte, mehr Schnee, als sie es sich in dieser südlichen tropischen Stadt je hätte vorstellen können. Die Laternen vor den Geisha-Häusern waren längst erloschen, doch der Schnee machte alles hell. Er hob auch ihre Stimmung. Vielleicht würde ihr Vater an diesem Tag doch nicht abmarschieren.
Sie hatte die Nacht in einem der unbenutzten Räume im Obergeschoss verbracht, um ihre Eltern nicht zu stören. Fröstelnd betrachtete sie die kümmerliche Möblierung – eine staubige Truhe, ein hoher Schubladenschrank, in dem die kostbaren Kimonos ihrer Mutter verstaut waren, ordentlich gefaltet und in Seidenpapier gehüllt, eine Vase mit trockenen Zweigen und eine ausgefranste Bildrolle in der Nische. Sie blickte in die Wandschränke, wo das Bettzeug verwahrt wurde, öffnete die kleinen Schubladen der Schmuckborde in der Nische und stemmte den Deckel der Truhe hoch.
Sie nahm Puppen heraus, Keramik, Räucherwerkbehälter und Gegenstände für die Teezeremonie, alle in säuberlich etikettierten Kästen, die sie aus dem Haus in Tokyo hierher verschifft hatten und vermutlich nie wieder betrachten würden. Darunter lagen ein paar schlichte Winterkimonos aus dicker Baumwolle. Taka nahm zwei heraus und hüllte sich so schnell wie möglich hinein, zog sie über das Gewand, in dem sie geschlafen hatte, und befestigte alles mit einer Schärpe. Ihr blieb keine Zeit, sich so sorgfältig anzukleiden, wie sie es normalerweise getan hätte. Sie strich ihr Haar zurück, knotete es zu einer Rolle und schlich auf Zehenspitzen die glatten Stufen hinunter, um jedes Knarren zu vermeiden.
Der Holzboden des Vorraumes war eiskalt unter ihren Füßen. Sie tastete in der Dunkelheit herum, fuhr mit den Händen über Sandalen und Getas im Schuhregal. Die riesigen Strohsandalen ihres Vaters waren verschwunden. Mit einem furchtbaren Gefühl der Leere sank sie auf die Fersen zurück und unterdrückte ein Schluchzen. Gerade erst war er wieder in ihr Leben getreten, nur damit sie ihn nun erneut verlor. Alles kam zu einem Ende, und sie hatte sich nicht einmal von ihm verabschieden können.
Sie nahm eine warme Jacke und einen geölten Papierschirm, schlüpfte in die Getas und trat nach draußen in die strahlend weiße Landschaft. Der Schnee war übersät mit den eckigen Mustern der Getas und den Abdrücken der geflochtenen Strohsandalen. Um diese Uhrzeit gingen Geishas normalerweise nach einer langen Nacht ins Bett, doch heute waren Frauen, die sonst nie den Sonnenaufgang sahen, bereits unterwegs zur Burg. Sie eilten dahin, in warme Kimonos gehüllt, mit Strohumhängen darüber wie die Bauern, was sie wie hüpfende Heuballen aussehen ließ.
Taka bemühte sich, nahe bei den Gebäuden zu bleiben, wo die Schneewehen flacher waren, doch auch ihre Füße sanken bei jedem Schritt in den Schnee. Die lange, gerade Straße mit den dunklen Häusern kam ihr endlos vor. Sie atmete schwer, als sie die Biegung erreichte, die das Ende des Geisha-Viertels markierte. Rasch eilte sie durch das Kaufmannsviertel der Stadt, vorbei an Holzplätzen, Lagerhäusern und den hohen Mauern der Reisspeicher, wich Männern aus, die den Schnee zu Haufen zusammenkehrten und erneut fegten, als noch mehr Schnee fiel. Wenigstens waren die Straßen hier
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