Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Metalldeck über Nobus Kopf vibrierte unter schweren Schritten.
Schweiß lief ihm über den Nacken, und seine Kleidung klebte ihm feucht am Körper. Mit einem Seufzer drückte er das Handbuch über französische Infanterietaktik an seine Brust. Er kannte dieses sarkastische Näseln – Sakurai, ein grobschlächtiger, dreißigjähriger Mann aus einem der niederen Clans, der sich ein Vergnügen daraus machte, die jüngeren Kadetten zu quälen. Er und seine Kameraden waren begierig darauf gewesen, Nobu zurechtzustutzen, als er eingerückt war, und hatten zu ihrem Erstaunen gemerkt, dass er sich, wie lerneifrig er auch sein mochte, durchaus zu behaupten wusste. Seither hatten sie ihn mit widerwilligem Respekt behandelt.
Nobu saß, die Knie ans Kinn gedrückt, in der Vier-Mann-Kajüte, die er sich mit zehn anderen Offiziersanwärtern teilte, und hielt sein Buch unter den Lichtstrahl, der durch das Bullauge fiel. Seine Kameraden quetschten sich um ihn herum, manche schliefen, andere lasen und fächelten sich erschöpft Luft zu. Umhänge und Mäntel hingen an Haken an der Wand, und überall, wo sich Platz finden ließ, lagen Kleidungsstücke verstreut. Es war so heiß und feucht wie in einem Badehaus.
Doch zumindest befand er sich in den Offiziersquartieren. Um einen Befehl auszuführen, hatte er sich in den Bauch des Schiffes begeben müssen und war die schmalen Niedergänge in den Laderaum hinabgestiegen, in dem die Wehrpflichtigen untergebracht waren. Er spürte die Hitze und roch die Kohlendämpfe, den Schweißgestank und das Erbrochene, noch bevor er dort war. Der Laderaum befand sich direkt über dem Maschinenraum, und Nobu hatte das Dröhnen des Heizkessels gehört und das Ruckeln des Bodens gespürt, unter dem die Kolben das mächtige Schiff antrieben. Überall waren Männer, die glücklicheren in übereinander befestigten Hängematten, die anderen Seite an Seite auf dem Boden, ohne je das Tageslicht zu sehen. Sie aßen dort, wo sie schliefen, während sich ihre Kameraden um sie herum erbrachen. Nobu hatte sich einen Weg durch sie gebahnt, einen Bogen um die überfließenden Latrinen gemacht und seinem Glücksstern gedankt, dass er nicht hier unten bei ihnen sein musste.
Zwei Monate zuvor, im späten Februar, hatten sich Gerüchte verbreitet, dass die Satsuma sich erhoben hatten. Der Prinzipal hatte die Militärakademie zusammengerufen und den Männern verkündet, die Satsuma seien in die Nachbarpräfektur Kumamoto eingefallen, und es sei der kaiserliche Befehl ergangen, den Aufstand niederzuschlagen.
Das Erste Infanterieregiment der kaiserlichen Garde war sofort nach Süden aufgebrochen, gefolgt von mehreren Truppenkontingenten. Jeder wusste, dass die Satsuma kampferprobte Veteranen waren und zu den besten Kämpfern des Landes zählten. Aber es gab auch andere gute Soldaten, die sehr gute Gründe hatten, einen Groll auf die Satsuma zu hegen, und bald meldeten sich arbeitslose ehemalige Samurai aus den nördlichen Clans in Massen, um mit an die Front zu gehen.
Nobu wusste, dass es für die Männer aus dem Norden kaum eine Rolle spielte, für was sie kämpften oder warum. Im neuen Japan waren alle guten Stellen von den Männern der siegreichen Clans vereinnahmt worden – den Choshu, Satsuma, Hizen und Tosa. Ein paar aus dem Norden hatten, wie Nobu, das Glück gehabt, in die Militärakademie aufgenommen zu werden. Für einen Mann aus dem Krieger-Stand, einen Samurai, war es eine Chance – praktisch die einzige –, seinen Stolz zu wahren und mit dem Aufstieg durch die Ränge einen vernünftigen Lebensunterhalt zu verdienen. Vor allem war es ein Arbeitsplatz, einer der wenigen, der für Männer aus dem Norden offen stand. Da ging es nicht um Ideologie, sondern ums Überleben.
Aber die Samurai aus dem Norden, wie Nobus Brüder, lebten in Armut, konnten zum Überleben nur das Nötigste zusammenkratzen. Und nun war sie ihnen in den Schoß gefallen – die Möglichkeit, sich an ihrem alten Feind zu rächen, dem Verursacher all ihres Unglücks. Sie würden keine Gesetze brechen müssen, sondern nur der Armee beitreten oder der Polizeitruppe, um Satsuma zu töten. Sie wurden sogar dafür bezahlt. Ihre Positionen hatten sich umgekehrt. Die Aizu waren es gewesen, die von den anderen Clans in den Schmutz getreten wurden, und nun waren die Satsuma an der Reihe. Ein Geschenk der Götter! Endlich gab man den Aizu die Gelegenheit, den Feind bezahlen zu lassen – sich an den Satsuma für das schreckliche Leid und die
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