Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
geräumter. Menschen drängten sich um Feuerstellen, wärmten sich die Hände über der glühenden Holzkohle. Der Himmel wurde heller, nahm einen unheilvollen violetten Ton an wie ein Bluterguss, und als sich die Wolken hoben, erhaschte Taka einen Blick auf den Vulkan hinter den Lagerhäusern, märchenhaft weiß mit einem Ascheband, das wie ein Banner aus dem Krater strömte.
Rutschend und schlitternd, immer bemüht, den Halt nicht zu verlieren, erreichte sie den Samurai-Bezirk mit den breiten, von unbearbeiteten oder verputzten Steinmauern gesäumten Alleen und eilte am Getreidespeicher der Stadt und dem Amtssitz des Gouverneurs vorbei. Nicht weit entfernt waren rufende Stimmen, dröhnende Trommeln und klimpernde Shamisen zu hören. Eine Menschenmenge, größer, als Taka es je gesehen hatte, ergoss sich aus dem Paradeplatz, die Menschen füllten die Straßen, balancierten auf Mauern, Steinen und Torpfosten. Jeder Stein der massiven Granitmauern und Zinnen der Burg war weiß umrandet, und dahinter erhob sich der Shiroyama – der Burgberg – wie eine Klippe, eingehüllt in ein schneebedecktes Gewirr aus Laubwerk.
Taka hielt Ausschau nach einer Lücke in der Menge und versuchte sich durchzuschlängeln. Die Menschen standen so dicht gedrängt, dass sie mitgeschoben wurde, erst in die eine, dann in die andere Richtung. Sie erkämpfte sich einen Weg tiefer hinein, achtete dabei auf ihre ungeschützten Füße in den mit Riemchen versehenen Getas zwischen all den Lederstiefeln und schweren Strohsandalen. Vor sich sah sie nur große Rücken in gefütterten Jacken und Strohumhängen.
Für einen kurzen Moment teilte sich die Menge, und Taka erhaschte einen Blick auf den Paradeplatz. Er war voller Männer, die meisten in dunkelblauen Jacken und gestreiften Hakama-Hosen, mit weißen Stirnbändern und Schwertern in ihren Schärpen. Viele hatten auch ein Gewehr über der Schulter. Manche trugen weiße Armbänder, andere Militäruniformen wie die Soldaten der kaiserlichen Armee.
Mitten unter ihnen, umringt von Soldaten, war ihr Vater. Während die meisten seiner Männer die traditionellen Samurai-Gewänder trugen, war er glanzvoll in seine Generaluniform gekleidet, schwarz mit goldenen Litzen und Knöpfen sowie einer roten Schärpe, das goldene Schwert an der Seite. Takas Herz barst fast vor Stolz, vermischt mit großer Traurigkeit. Sie kannte diese Uniform so gut. Er hatte sie bei zeremoniellen Anlässen in Tokyo getragen, als er Feldmarschall der kaiserlichen Armee und Regierungsminister gewesen war.
Sie drängte sich vor, versuchte ihn zu erreichen, bevor sie ihn wieder aus den Augen verlor. Größer als seine Soldaten, schritt er, begleitet von seinen Hunden, zwischen ihnen auf und ab, blieb stehen, sprach mit jedem Einzelnen, lächelnd und scherzend, plauderte hier und da. Er schien sie alle beim Namen zu kennen und hatte für jeden ein ermutigendes Wort. Die Männer lachten oder nickten ernst, während er mit ihnen sprach, und jeder trug seinen Kopf höher, nachdem der General weitergegangen war. Unter seinen Männern wirkte er vollkommen zu Hause, mehr er selbst, als Taka ihn je gesehen hatte.
Dann bemerkte sie den jungen Samurai, der neben ihm ging. Er hatte eine dunklere Hautfarbe, als sei er im Süden geboren, und ein gut geschnittenes, beinahe edles Gesicht. Taka starrte ihn an. Sie hatte gehört, dass General Kitaoka einen Sohn von seiner Ehefrau hatte, einen Sohn, den er öffentlich anerkannt und zu seinem Erben bestimmt hatte. Vielleicht war er das. Ihn zu sehen, warf in ihr die Frage auf, wie ihr Vater sie empfangen würde, ob er erfreut wäre oder peinlich berührt, wenn der Sprössling einer Geisha ihn vor seinen Soldaten begrüßte.
Stämmige Männer waren in seiner Nähe, hielten die Menge wachsam im Auge. Taka überlegte, ob das die Leibwächter ihres Vaters waren und ob Kuninosuké unter ihnen war. Sie hoffte, dass sie ihn zu sehen bekäme. In der vergangenen Nacht hatten sie sich beide ein wenig mitreißen lassen und sich ungebührlich benommen. Später hatte sie darüber nachgedacht, hatte sich gefragt, ob sie Nobu betrogen oder Kuninosuké irregeführt hatte, ob sie etwas getan hatte, das Schande über ihre Familie brachte, und entschieden, dem sei nicht so. Es war nicht mehr als eine unschuldige Umarmung gewesen, ein Angebot der Aufmunterung für diese tapferen Männer, ein Abschiednehmen von einem Soldaten, der an die Front ging. Schließlich war es seine letzte Nacht in der Stadt gewesen.
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