Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
wir nicht verlieren. Wir werden unsere Feinde vernichtend schlagen und zurück sein, bevor Sie auch nur bemerken, dass wir fort sind. Das ist nicht das letzte Mal, dass wir uns sehen!« Sein Gesicht wurde weicher. »Ich sollte Sie für mein Benehmen von letzter Nacht um Verzeihung bitten, aber ich bin mir nicht sicher, ob es mir wirklich leidtut.«
»Ich werde an Sie denken«, sagte sie. »Ich werde Sie nicht vergessen. Bitte geben Sie auf sich acht und kommen Sie gesund zurück.«
»Bedeutet Ihnen mein Leben denn so viel?«
Taka wusste selbst nicht, was sie empfand. Sie wollte ihm keine unwahre Antwort geben. Errötend senkte sie den Blick und fummelte in ihrem Ärmel herum. »Ich möchte Ihnen etwas geben …«
Für gewöhnlich trug sie alles Mögliche in ihren weiten Ärmeln – einen Fächer, eine Geldbörse, ein Taschentuch, einen Tabakbeutel. Aber heute war sie ohne das alles hinausgeeilt. Sie hatte nur das Amulett, das Nobu beim Sengaku-Tempel für sie gekauft hatte, ein kleiner roter, mit Gold bestickter Brokatbeutel, der ein Gebet für Glück enthielt. Das Amulett war jetzt alt und hatte seine Kraft verloren, wie es Amulette immer am Jahresende taten. Aber sie trug es in Erinnerung an Nobu nach wie vor bei sich.
Eigentlich konnte sie es kaum ertragen, sich von etwas so Kostbarem zu trennen. Doch dann dachte sie an den Sengaku-Tempel, in dem die siebenundvierzig Ronin begraben waren. Sie stellte sich ihre Gräber vor, in vier ordentlichen Reihen, mit den Räucherstäbchen vor jedem Grabstein. Kuninosuké war ein Mann vom Schlage dieser Krieger. Er schickte sich an, sein Leben für die Sache der Satsuma aufs Spiel zu setzen. Wie konnte sie ihm irgendetwas verweigern? Ihm das Amulett zu geben, war nur richtig.
Sie nahm es aus dem Ärmel. »Das ist aus dem Sengaku-Tempel. Es ist ein bisschen alt, fürchte ich, könnte aber trotzdem noch ein wenig Kraft in sich haben, um Sie zu beschützen.« Als sie es ihm in die Hand drückte, spürte sie die Berührung seiner Finger. Sorgsam knotete er das Amulett an seine Schärpe. Ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren wie tiefe Höhlen, durch die sie für einen Moment meinte, in seine Seele schauen zu können.
»Ich werde es immer bei mir tragen und an Sie denken.«
»Ich werde auch an Sie denken – an Sie alle. Ich werde beten und Räucherwerk für Ihren Erfolg opfern.« Taka trat zurück, verbeugte sich und war sich bewusst, dass die anderen Leibwächter sie beobachteten.
»Viel Glück«, fügte sie förmlich hinzu. »Geben Sie auf sich acht.«
Trommeln dröhnten, Menschen jubelten, und aus einem der benachbarten Häuser drang der Klang von Shamisen. General Kitaoka setzte seinen Dreispitz auf und lenkte sein Pferd, umgeben von seiner Leibwache, an die Spitze seiner Truppen. Die Männer marschierten in Formation, ein Bataillon nach dem anderen, und füllten die breiten Alleen. Schnee glitzerte auf den dunkelblauen Jacken, den Waffen, den Rücken der Pferde. Banner knatterten im Wind, während die Strohsandalen unaufhaltsam davonmarschierten.
Wieder fiel Schnee, stärker und dichter.
Taka sah ihnen nach, bis die große Gestalt nur noch ein schwarzer Punkt vor dem schimmernden Berghang war und schließlich verschwand. Sie sah die Reihen der Männer stolz in den Nebel und Schnee marschieren, in die hohen Berge, ins Ungewisse, bis der letzte Soldat fort war, gefolgt von den mit Munition beladenen Packpferden, dem Tross und schließlich den hinterherzockelnden Frauen. Sich vorzustellen, dass irgendeine Armee dieser mächtigen Streitmacht standhalten konnte, war unmöglich.
Taka schaute und schaute, bis ihre Füße zu Eis erstarrt waren, die letzten Gestalten in der Ferne verblassten und vom Schneegestöber verschluckt wurden. Beinahe wünschte sie sich, auch sie hätte mitgehen können.
Sie machte sich auf den Heimweg. Die Stadt war erschreckend leer. Niemand war mehr da – nur noch Frauen und Kinder, Alte und Kranke. Selbst die Geishas waren fort. Unter der Schminke, dem Parfüm und den erlesenen Kimonos waren sie zähe, hart arbeitende Frauen, und viele hatten sich aufgemacht, ihren Männern zu folgen. Es würde einsam werden.
Teil V ÜBER DIE BRÜCKE AUS
ELSTERNSCHWINGEN
29
Dritter Monat, Jahr des Ochsen, zehntes Jahr der Meiji-Ära (April 1877)
»Oi, Yoshida. Schon wieder die Nase im Buch?« Die Stichelei schallte über das Getöse der Maschinen, das Knarren des Schaufelrads und die Rufe der Matrosen. Glocken schepperten mittschiffs, und das
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