Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
gewartet, sie hatten ihre Stadt selbst geplündert.
Barkassen pendelten hin und her, und die Soldaten mit ihren schwarzen Kappen und den geschulterten Gewehren kletterten an Land. Die Sonne brannte vom Himmel. Stramm aufgerichtet in seinem Mantel, den Tornister auf dem Rücken und das Schwert an seiner Seite, hörte Nobu das Knarren neuer Lederstiefel hinter sich und sandte ein inbrünstiges Gebet an die Götter, dass hier wirklich niemand war, gegen den sie kämpfen mussten. Falls doch, würden diese Männer schwer damit zu tun haben, sich zu beweisen. Trotz all der schmucken Uniformen bestand die Hälfte aus frisch Rekrutierten, Wehrpflichtigen, die nach Süden geschickt worden waren, ohne zu wissen, wie man ein Gewehr lud. Der Rest waren ehemalige Samurai – und wie jeder wusste, nahmen Samurai von niemandem Befehle an. Was Nobu betraf, so war er ein unerfahrener Leutnant mit einem Kopf voll französischer Vokabeln, wie Sakurai gesagt hatte, und einem theoretischen Wissen über Taktik, doch ohne jede praktische Erfahrung.
Als die ersten Einheiten sich gerade zackig in Bewegung setzten, ertönte ein Schuss, hallte von den Bergen wider und schallte über das Wasser. Die Wehrpflichtigen schrien vor Panik, brachen aus dem Glied aus und stürmten in die Lagerhäuser. Mit wild klopfendem Herz blickte Nobu sich um. Heckenschützen, ein Hinterhalt. Er rannte hinüber zu einem Wasserfass und kauerte sich dahinter, das Gewehr im Anschlag.
Vorsichtig suchte er den leeren Kai ab und bemerkte einen einsamen Wehrpflichtigen, der nervös dastand, ein hohlwangiger junger Bursche mit den großen Händen eines Bauern, an dem sein Mantel wie ein Zelt herabhing. Rauch kringelte sich aus dem Lauf seines Gewehrs. Die anderen Soldaten stolperten mit verlegenem Lachen zurück ins Sonnenlicht. Nobu musste grinsen.
»Ich … ich dachte, ich hätte eine Bewegung gesehen«, stammelte der Jugendliche, knallrot im Gesicht. Katzen spähten nervös aus dem Schatten, als die Männer ihren Marsch wiederaufnahmen.
Ganze Bataillone füllten die schmalen Straßen und hielten auf die Burg zu, die sich am Fuß des Hügels erstreckte, starrend vor Brustwehren, Geschütz- und Wachtürmen. Nobu hielt die Augen nach Heckenschützen offen, doch falls es welche gab, hielten die sich gut verborgen.
Er hatte eine geschäftige Stadt mit gut gefüllten Läden erwartet, aber hier war alles leer, bis auf Papierfetzen, Stoffreste und verfaultes Obst in den Gossen. Er blickte sich um, überzeugt davon, dass es eine Falle sein musste. In den Gebäuden mussten sich Menschen verstecken, bereit, einen Kugelhagel auf die Eindringlinge niedergehen zu lassen.
Aber sie marschierten weiter, ohne dass etwas passierte. Bataillon nach Bataillon sammelte sich auf dem Exerzierplatz vor der Burg, während die Vorhut über den Graben auf das Gelände der Burg stürmte. Nobu lauschte nach dem Dröhnen der Geschütze und Rattern von Gewehrfeuer, doch nur das Donnern der Stiefel auf dem hart gestampften Lehm war zu hören.
Dann tauchte eine uniformierte Gestalt am Kopf der Brücke auf, wedelte mit den Armen und rief ihnen zu. Es gab keine Verteidigungsarmee, nicht einmal Bewohner. Die Burg war verlassen. In den alten Stallungen waren sogar Kasernen vorhanden, in denen zumindest ein Teil der Besatzungstruppen untergebracht werden konnte. Die Soldaten brachen in Jubel aus.
Nachdem Burg und Kasernen gesichert waren, entledigten sich die Leutnants ihrer Mäntel und Tornister und machten sich bereit, jede Straße und jedes Haus in der Stadt nach Heckenschützen und Rebellennestern zu durchkämmen.
Doch Nobu hatte eine eigene Mission, und nichts würde ihn davon abhalten, sie auszuführen. Am kommenden Tag, sobald die Stadt ihnen gehörte, würden sie von morgens bis abends damit beschäftigt sein, Verteidigungsanlagen in Vorbereitung auf den Angriff zu errichten, der kommen musste, wenn die Rebellen versuchten, ihre Hochburg wieder einzunehmen. Aber heute, während sie durch die Stadt schlichen, in jedem Haus und jeder kleinsten Gasse herumschnüffelten, hatte er die Chance – seine einzige Chance –, Taka zu suchen. Er musste sie rasch finden, bevor ihm irgendein Scheusal wie Sakurai zuvorkam. Nobu hatte nicht vergessen, was die Satsuma den Frauen von Aizu angetan hatten. Die kaiserliche Armee rühmte sich, disziplinierter zu sein, doch in jeder Armee gab es üble Gelichter, und Takas hellhäutige Schönheit, zusammen mit der Tatsache, dass sie Kitaokas Tochter war, machte
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