Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
kann nicht mehr mit dir streiten, Kind. Du bist noch dickköpfiger als ich.«
Mit Tränen in den Augen sah Taka den drei Gestalten nach, die in der Ferne immer kleiner wurden. Alles war zerfallen, und nur das war übrig geblieben, drei einsame Frauen, die zusammen fortgingen.
Als sie außer Sichtweite waren, eilte Taka zum Hafen. Ein paar Wachmänner und Dienstboten spähten nervös aus den Toren des einen oder anderen Kaufmannshauses. Die meisten Häuser waren geschlossen und durch vorgeschobene Regentüren in Festungen verwandelt. Die gewaltigen, weiß gekalkten Lagerhäuser, in denen die Kaufleute ihre wertvollen Waren unterbrachten, waren verschlossen und verriegelt. Kein einziger Laden war geöffnet, und die Marktstände waren verlassen. Zerrissenes Papier und Kleiderfetzen lagen am Boden verstreut und wurden in die Gosse geweht. Anscheinend hatten die Leute mehr mitgenommen, als sie tragen konnten, und in ihrer Hast Dinge fallen lassen. Orangen und Süßkartoffeln rollten herum. Kagoshima war vollends eine Geisterstadt.
Immer noch waren Menschen am Ufer, warteten ängstlich darauf, was als Erstes kommen würde – ein Boot, das sie fortbrachte, oder die gefürchteten Kriegsschiffe. Nach ihrer Kleidung zu urteilen, waren es arme Leute. Einige hatten Bündel, andere mit Möbeln beladene Karren. Die Bucht war voller Boote, auf dem Weg zum Vulkan oder nach Süden, auf die Inseln zu.
Taka beobachtete die nach Süden fahrenden Boote und machte dort, wo das blendende Meer in das hellere Blau des Himmels überging, ein Rauchwölkchen aus. Während sie wie hypnotisiert hinschaute, tauchte noch eins auf, dann noch eins, und ein unheilvoller grauer Schiffsrumpf glitt um die Landspitze in Sichtweite. Sie zählte fünf Schiffe, noch weit in der Ferne, die Segel gehisst. Mit jedem Moment wurden sie größer. Die Menge am Kai schrie voller Panik und drängte sich in die letzten verbliebenen Boote, warf Bündel und Möbel hinein, bis die Boote zu kentern drohten.
Als Taka durch den Kaufmannsbezirk zurück floh, hörte sie Rufe, Krachen und trappelnde Schritte. Sie kam um eine Ecke. Banden Jugendlicher im Lendenschurz zertrümmerten Türen und Fensterläden, brachen in Wohngebäude und Lagerhäuser ein, rannten mit prall gefüllten Säcken davon. Sie waren zu sehr mit dem Plündern beschäftigt, um auf Taka zu achten. Sie rannte nach Hause und verriegelte zitternd die Tür.
Sie hatte einen Fehler gemacht, das erkannte sie jetzt. Sie hätte mit ihrer Mutter gehen sollen und wünschte sich, sie wären nicht im Streit auseinandergegangen. Ja, ihr ganzes Leben war eine Anhäufung von Fehlern gewesen. Vielleicht hätte sie Masuda-sama heiraten sollen, bevor all das hier losbrach. So schlecht war er ja nicht gewesen, und sie wäre immer noch in Tokyo. Doch für Bedauern war es jetzt zu spät. Sie würde einfach auf den richtigen Moment warten müssen, bevor die Armee eintraf, und sich Yuko und den anderen anschließen.
Allein in dem Haus mit den verblichenen Tatamimatten und der knarrenden Treppe zu sein, war unheimlich. Nachdem sie nun die Schiffe gesehen hatte, kam ihr die an der Wand lehnende Schwertlanze so kümmerlich vor wie ein Kinderspielzeug. Taka musste an ihren Vater und seine fünfzehntausend Krieger denken. Ganz gleich, wie tapfer, gut ausgebildet und entschlossen sie sein mochten, selbst wenn sie die besten Soldaten der Welt waren, so einer Macht konnten sie sich nicht entgegenstemmen.
Wie immer dachte Taka an Nobu. War er noch in Tokyo auf der Militärakademie? Oder war er an die Front abkommandiert worden? Vielleicht war er in den Bergen, um gegen ihren Vater zu kämpfen, oder auf einem dieser Schiffe, die auf dem Weg nach Kagoshima waren. Es wäre eine merkwürdige und bittere Fügung des Schicksals, wenn er bei jener Flotte war, die auf ihre Stadt zuhielt, um ihre Leute zu töten – und sie.
32
»Wir werden diesen verdammten Satsuma eine Lektion erteilen, die sie nicht so schnell vergessen. Stimmt’s, Sato?« Sakurais Knurren erhob sich über das Rumpeln der Maschinen, das Knarren und Schlagen der Segel und das Brausen, mit dem das große Schiff durchs Wasser stampfte. Die Reling klirrte, als er die Faust darauf niedersausen ließ.
»Stimmt«, grunzte sein treuer Kumpan Sato lakonisch.
Nobu stöhnte innerlich. So einfach war das nicht. Viele der Soldaten, auch Männer auf diesem Schiff, waren gebürtige Satsuma, Brüder, Söhne oder Vettern von Rebellen, die zum Kampf in die Berge gezogen waren. Er
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