Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
ertragen soll.«
»Wird Vater zu Harus Hochzeit kommen?«, fragte Taka leise. Sie kannte die Antwort. Natürlich würde er das nicht.
Ihr kam es lange vor, seit sie ihren Vater zuletzt gesehen hatte. Meist bemühte sie sich, nicht daran zu denken, seine Abwesenheit zu vergessen, doch nun fielen ihr unerwartet seine großen, tröstlichen Hände, der massige Körper und das breite, kantige Gesicht ein, so klar und deutlich, als stünde er vor ihr. Sie sah ihn durch die leeren Räume streifen, eine Pfeife nach der anderen rauchen, hörte ihn in barscher Stimme mit seinen Kollegen reden, sein dröhnendes Lachen ausstoßen. Manchmal hatte sie in seine Räume gelugt, wenn sie wusste, dass er allein war, und hatte ihn kniend an seinem mit Papieren überhäuften Tisch gefunden, die Brauen zusammengezogen. Er hatte ihr einen finsteren Blick zugeworfen und geknurrt, er sei beschäftigt, doch dann hatte er gegrinst, sie zu sich gewinkt, und sie war hingelaufen und hatte sich auf seine gewaltigen Schenkel gesetzt. Sie erinnerte sich an das raue Gefühl der Baumwollgewänder, die er zu Hause trug. In seine Armbeuge geschmiegt, hatte sie sich vor allem und jedem beschützt gefühlt.
Sie hatte ihm von ihrem Tag erzählt, was sie gelesen, was sie getan hatte, und er hatte ihr zugehört, genickt und ernst gesagt: »Ach wirklich, kleine Taka? Ach wirklich?« Dann hatte er ihr von seiner Kindheit erzählt, fern an der äußersten Spitze der Insel Kyushu, in der Stadt Kagoshima, unter Palmen und blauem Himmel, mit dem Sakurajima-Vulkan, der sich mitten in der Bucht erhob und rumpelnd Rauch ausstieß. Wenn sie jetzt an ihren Vater dachte, fühlte sie sich innerlich leer.
Während der Anwesenheit ihres Vaters war das Haus ständig voller Menschen gewesen, in allen öffentlichen Zimmern und Fluren. Sie erinnerte sich an Soldaten, die in Gruppen herumstanden, die Köpfe zusammengesteckt, in ernste Diskussionen vertieft, an Bittsteller, die Geschenke brachten und um Gefälligkeiten baten, an Menschen, die sich Ratschläge holen wollten. Alle, so schien es, waren begierig, dem großen General zu begegnen.
An den Abenden waren streng blickende Männer mit Schnurrbärten, in gefälteten Hakama-Hosen und knielangen, vorn elegant verknoteten Haori-Jacken oder forschen, westlichen Uniformen in Rikschas oder Kutschen am Haupteingang vorgefahren. Takas Mutter hatte Geishas engagiert, um die Besucher zu unterhalten, und viele der Männer wurden von ihren Geisha-Mätressen begleitet. Ihre Ehefrauen brachten sie nicht mit. Für die Frau eines Samurai wäre es undenkbar gewesen, sich unter Männer zu mischen, die nicht zur Familie gehörten. Das war die Rolle ausgebildeter Professioneller wie den Geishas, und Takas Mutter war eine der berühmtesten.
Die Männer tranken, redeten und speisten, und wenn genug Sake getrunken worden war, spielten die Geishas ihre Shamisen, tanzten und sangen, und die Gäste erhoben sich unsicher, um ihre Tanz- und Gesangstalente zum Besten zu geben, und später wurden Trinkspiele veranstaltet, genau wie in den alten Tagen in Kyoto. Takas Vater, gut aussehend und galant, frisch rasiert und ausnahmslos in traditionelle Haori und Hakama gekleidet, hielt Hof.
Taka mochte es, seine tiefe Stimme und das dröhnende Lachen zu hören, wenn sie in den von Lampions erhellten Festsaal spähte, doch da sie jetzt nicht mehr zur Geisha ausgebildet wurde, durfte sie nur selten die Gäste bedienen. Wurde ihr doch erlaubt, Speisen und Getränke hineinzutragen, hatte sie sich wie eine richtige Samurai-Dame zu verhalten – die Augen sittsam gesenkt, die Tabletts vor die Gäste stellen, sich verbeugen und rasch hinausschlüpfen. So viel langweiliger als in den alten Tagen, in denen sie ermutigt worden war, bei den Gästen zu sitzen und sie mit ihrem kindlichen Geplauder zu verzaubern. Das Leben einer Samurai-Dame versprach anscheinend viel weniger vergnüglich zu werden als das Leben einer Geisha. Ja, sie begann zu argwöhnen, dass nun, wo sich ihr Status geändert hatte, von Vergnügen keine Rede mehr sein konnte. Von nun an würde das Leben nur noch aus Pflicht und Gehorsam bestehen.
Dann war ihr Vater eines Tages, kurz vor ihrem Besuch in der Schwarzen Päonie, früh von der Arbeit hereingestürmt, und sie hatte ihn und ihre Mutter mit leiser Stimme reden hören. Die kaiserlichen Gardisten in ihren schneidigen Uniformen waren kurz danach eingetroffen, mindestens fünfzig oder sechzig von ihnen, und Taka hatte Stimmen und Rufe und das
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