Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
braucht keine Schulbildung.«
Fujino runzelte die Stirn. Sie hatte ihren Fächer herausgezogen und klopfte sich nachdenklich damit in die Handfläche. »Armer Nobu«, sagte sie. »Er ist nur ein Kind. Taka hat recht. Selbst wenn er ein Aizu ist, so ist er doch ein rechtschaffener Bursche. Dein Vater würde zustimmen, dass wir uns wohltätig verhalten sollten.«
Taka erkannte am abwesenden Ausdruck ihrer Mutter, dass sie an Ryutaro dachte. Bei seinem Tod war er nur ein paar Jahre älter gewesen als Nobu jetzt. Ryutaro, der Erstgeborene, war der Liebling ihrer Mutter gewesen. Taka hatte ihn kaum gekannt. Als sie alt genug war, um sich zu erinnern, hatte ihr Vater ihn zu sich gerufen, und sie war erst acht, als sie die Nachricht erhielten, dass Ryutaro in einer der letzten großen Schlachten des Bürgerkriegs gefallen war. Geishas waren daran gewöhnt, ihre Söhne herzugeben, und man erwartete von ihnen, stolz zu sein, wenn sie in der Schlacht fielen, aber für ihre Mutter war Ryutaros Tod ein entsetzlicher Schicksalsschlag gewesen.
»Ryutaro würde das auch sagen«, verkündete Taka fest. Sie wusste, wie sie ihre Mutter herumkriegen konnte.
Fujino nickte. »Lass ihn in Ruhe, Eijiro. Man entlässt Dienstboten nicht ohne guten Grund.« Sie schniefte leise und tupfte ihre Augen mit dem Ärmel ab.
Eijiro blickte finster. »Ich werde einen Grund finden.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Taka gestattete sich ein triumphierendes Lächeln. Sie wusste nicht, warum sie sich so vehement für Nobu einsetzte. Vielleicht, weil Eijiro so gegen ihn eingenommen war und sie alles verteidigte, was ihr Bruder ablehnte. Oder vielleicht lag es daran, dass Nobu jung war wie sie und sie erkennen konnte, wie hart sein Leben war, viel härter als ihres. Sie war nur ein dreizehnjähriges Mädchen, hatte keinerlei Macht, erkannte jedoch Ungerechtigkeit auf den ersten Blick. Wenn sie Eijiro dabei erwischte, Nobu zu schikanieren, würde sie für ihn eintreten, nahm sie sich vor. Eijiro mochte es darauf abgesehen haben, Nobu in Schwierigkeiten zu bringen, aber sie konnte genauso hartnäckig sein. Sie schwor sich, von diesem Moment an alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihn zu beschützen.
4
In den folgenden Tagen und Wochen waren alle so mit den Vorbereitungen für Harus Hochzeit beschäftigt, dass selbst Eijiro keine Zeit hatte, sich Gedanken über den neuen Dienstboten zu machen.
Wieder kam Neujahr früh, als noch alles verschneit war, lange bevor die ersten auberginefarbenen Knospen die knorrigen Zweige der Pflaumenbäume erstrahlen ließen. Taka versuchte zu vergessen, dass es das letzte Neujahr war, das sie und ihre Schwester gemeinsam verbringen würden. Sie spielten das Gedichtkartenspiel und das Blumenkartenspiel, und Haru gewann jedes Mal. Und so begann das siebte Jahr Meiji, ein Jahr des Hundes und Holzes, 1874 nach dem neuen Kalender.
An einem Frühlingstag, zwei Monate später, als die Kirschbäume zu knospen begannen, bestieg Haru ihren Hochzeitspalankin. Taka hatte ihr beim Schminken und Anziehen des formellen schwarzen Kimonos mit dem Familienwappen auf Ärmeln und Kragen geholfen und fand, dass ihre Schwester noch nie so entzückend ausgesehen hatte; wie eine Porzellanpuppe. Nachdem Haru auf den Knien Platz genommen hatte und Heiratsvermittler, Friseurin, Begleiter, Lastenträger und Truhen alle aufgereiht waren, nahmen die Träger den Palankin auf ihre Schultern, und die Prozession setzte sich in Gang. Taka, ihre Mutter, die Dienerinnen und Dienstboten sahen vom Tor zu, wie der Menschentross immer kleiner wurde, bis er unter den Bäumen verschwand. Tränen rannen über Takas Wangen, und sie hörte ihre Mutter schniefen. Haru würde nicht weit fortgehen – ihre neue Familie lebte in Tokyo, nahe des kaiserlichen Palastes –, aber sie würde erst wieder zu Besuch kommen können, wenn ihre Schwiegermutter es ihr erlaubte.
Ein paar Tage später kam ein Brief. Taka las über die Schulter ihrer Mutter mit. »Sei gegrüßt«, hatte Haru geschrieben. »Ich hoffe, Du gibst bei diesem wechselhaften Wetter gut acht auf Dich. Ich wollte Dich nur wissen lassen, dass ich bei guter Gesundheit und bester Dinge bin. Die Familie Fukuda sorgt für mich, und mein Mann ist freundlich.« Der Brief endete mit: »Ich bin sehr beschäftigt im Haus und meiner Schwiegermutter dankbar für die Geduld, mit der sie meine Dummheit und Unbeholfenheit erträgt. Deine Tochter Haru.«
Tränen stiegen Taka in die Augen beim
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