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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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während seiner Kindheit in Aizu Gedichte verfasst hatten, bevor sie in die Schlacht zogen. In diesem Zeitalter der Gewehre und Kanonen schlich sich der Tod an und überrumpelte dich. Muße für Gedichte gab es nicht mehr.
    Beinahe konnte er das Sausen des niederfahrenden Schwertes hören. Mit einem Schaudern stellte er sich vor, wie es zwischen seinen Schulterblättern eindrang, schmeckte das Vergessen, das darauf folgen musste. Er sah Takas Gesicht vor sich, wie sie ihn im Moment des Abschieds angesehen hatte. Komm zu mir zurück , hatte sie mit ihrer leisen, lieblichen Stimme gesagt. Ich werde auf dich warten. Er dachte an ihren schlanken Körper, das seidige Haar und die Tage und Monate, die sie zusammen in Tokyo verbracht hatten. Wenigstens hatte er sie wiedergefunden, sie hatten einander gefunden. Nichts Ungetanes blieb zurück. Das war zumindest ein Trost.
    Trotzdem, jetzt bei dieser Mission zu scheitern, wo er es fast geschafft hatte – das war wirklich bitter.
    Nobu konnte den Brief in seiner Jacke fühlen, direkt über seinem Herzen. Er hatte keine Ahnung, was in dem Schreiben stand, wusste nur, dass es von großer Wichtigkeit war. Seine Pflicht war es, den Brief General Kitaoka zu übergeben, und niemandem sonst. Zusammen mit Sakurai und Sato hatte er diesen ehrenvollen Auftrag erhalten, ihm anvertraut von General Yamagata persönlich, dem Oberbefehlshaber aller Regierungstruppen.
    Doch mit dem auf seinen Nacken niedersausenden Schwert würde ihm das nicht gelingen. Er würde sterben, und das wäre das Ende seiner Mission. Die Schande war unerträglich. Ein Samurai versagte nicht.
    Plötzlich blaffte eine Stimme: »Halt!« Die Lerche unterbrach ihren Gesang, und selbst die Luft schien stillzustehen. Statt des Todesstreichs trat ihm ein Fuß hart in den Rücken, knallte sein Gesicht auf den steinigen Boden.
    »Wir brauchen ihn lebend«, knurrte die Stimme. »Wir nehmen ihn mit zu unserem Herrn. Er könnte Informationen haben.«
    Nobu erkannte den Akzent. Er wusste, wie gnadenlos die Satsuma waren, umso mehr, als sie jetzt mit dem Rücken zur Wand standen.
    Er versuchte auf die Knie zu kommen, aber ein weiterer Tritt nahm ihm den Atem. Er schmeckte Erde und Blut und tastete mit der Zunge nach ausgeschlagenen Zähnen. Grobe Hände rissen ihm das Gewehr von der Schulter und hielten ihn zu Boden gedrückt, während andere ihm Schwert und Dolch abnahmen. Vier oder fünf, schätzte er.
    »Munition! Die können wir gut brauchen.«
    »Reisbällchen. Und was ist das? Wasser. Der Kerl ist gut ausgerüstet.«
    »Wir nehmen es mit zurück.«
    »Gibt nicht genug zum Verteilen.« Nobu hörte Lippen schmatzen und anerkennendes Grunzen, als die Männer seine Vorräte verschlangen. Zum Glück hatten sie den Brief nicht gefunden. Er wusste, sie würden jedes Sendschreiben vom Kommandeur der feindlichen Truppen zerreißen.
    Eine Sandale trat ihm in die Rippen, und einer der Männer herrschte ihn an: »Auf die Füße, Hände über den Kopf, oder du bist tot.«
    Die Sonne brannte auf Nobu nieder. Seine Sandalen hingen in Fetzen, und seine Füße waren aufgeschürft und zerschrammt. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie schon unterwegs waren. Er musste bei klarem Verstand bleiben, musste eine Möglichkeit finden, den Brief an Kitaoka zu übergeben, doch er konnte nur an seine gequetschten Rippen, die Schmerzen in seinen Beinen und den Gewehrlauf denken, der sich in seinen Rücken bohrte, wenn er stolperte oder nach Atem ringend stehen blieb.
    Hinter sich hörte er Keuchen und überlegte, ob das Sakurai und Sato waren, ob man sie ebenfalls erwischt hatte.
    Stundenlang, so kam es ihm vor, war er über Felsen, um Bäume und Büsche herum und durch Bambushaine geklettert, bis er an eine gewaltige Palisade kam, die sich quer über den Berghang erstreckte. Die Männer, die ihn gefangen genommen hatten, stießen ihn durch eine Öffnung, und er fand sich in einem Laufgraben wieder, ausgelegt mit Steinen, darüber ineinander verflochtener Bambus, mit Sandsäcken beschwert, befestigt mit Strohseilen, dick genug, um Kugeln abzuhalten.
    Wie benommen wankte er weiter, als ihn ein Stoß in den Rücken vorwärtstaumeln ließ. Er geriet ins Stolpern, verlor das Gleichgewicht und fiel.
    Als er den Kopf hob, sah er vor sich einen breiten, offenen Platz, umgeben von zerklüfteten Felsen, dicht bewachsen mit Bäumen und Bambus. Zur einen Seite hin bildete eine senkrechte Felswand eine natürliche Festungsmauer. Überall waren mit Gewehren und

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