Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
magische Kraft bekommen, wie ein Zauberspruch, und eine Rüstung weben, die ihn vor Gefahr beschützte. Sie waren schon zuvor getrennt gewesen, hatten sich jedes Mal wiedergefunden, und jedes Mal war es anders. Sie würden sich auch diesmal wiederfinden.
»Komm zu mir zurück«, sagte sie so fest und nachdrücklich, wie sie konnte. »Ich werde auf dich warten.«
Er nickte und lächelte. Dann nahm er sie in die Arme. Ganz fest schloss sie die Augen und schmiegte sich an ihn, spürte seine Wärme, das Klopfen seines Herzen, versuchte, sich alles fest einzuprägen. Sie betete darum, dass die Zeit anhalten würde und sie für immer so bleiben könnten, während die Erde sich um sie drehte und die Sonne über den Himmel wanderte.
Er ließ sie los, und sie spürte, wie seine Wange die ihre streifte und seine Finger ihr Haar berührten. »Meine Weberprinzessin«, flüsterte er.
Dann öffnete sich das Tor, und er war fort.
Teil VI DER LETZTE SAMURAI
36
Achter Monat, Jahr des Ochsen, zehntes Jahr der Meiji-Ära (September 1877)
Ein Zweig knackte, und Nobu lief ein Schauer über den Rücken. Seine Nackenhaare sträubten sich. Dornen und Gestrüpp zerkratzten ihm die Haut, Bienen summten um sein Gesicht, Ameisen krochen seine Arme hinauf. Doch er bewegte keinen Muskel, betete zu den Göttern, dass er nicht entdeckt worden war.
Er kauerte in einem Dickicht halb den Berghang hinauf, seine graue Baumwolluniform war zerrissen und schweißgetränkt. Seit dem Morgengrauen war er geklettert, hatte sich zwischen Kiefern, Sicheltannen und von Ranken umschlungenen Kamelienbäumen einen Weg gebahnt, sich durch knarrende Bambushaine geschlichen. Bussarde kreisten am Himmel, hielten nach Aas Ausschau, und Vulkanasche trieb im Wind.
Das schwache Geräusch hätte von einem Reh oder einem Kaninchen ausgelöst werden können, doch wahrscheinlich waren es Satsuma, die sich leise wie Wildtiere durch den Wald bewegten. Nobu fluchte innerlich. Er hatte sie nicht mal näher kommen hören. Sie kannten sich in diesem Gelände aus, er nicht, und sie waren die drückende Hitze gewöhnt, während er, der aus dem kühleren Norden stammte, vor Erschöpfung keuchte, obwohl er schon seit Monaten hier im Süden war. Wenigstens durfte er jetzt Strohsandalen tragen statt der harten Lederstiefel, die ihm die Füße aufschürften.
Ein unheilvolles Geräusch bestätigte seinen Verdacht – das Kratzen eines Schwertes, das aus der Scheide gezogen wurde. Die Satsuma hielten sich nicht mit dem Schlagabtausch auf, brachten die Klinge mit einem einzigen Hieb herunter, der den Feind tötete, bevor er auch nur Atem holen konnte. Wenn du einen zweiten Hieb brauchst, bist du bereits tot, war ihr Motto.
Eine Feldlerche trillerte in der Stille, Wind raschelte im hohen Gras, Zikaden zirpten. Feuchtigkeit hing schwer in der Luft.
Wenn er sterben sollte, würde er dem stoisch entgegensehen, wie es sich für einen Samurai gehörte. Sein Leben war ohne Belang. Er hatte immer gewusst, dass es früher oder später enden würde.
In den letzten fünf Monaten hatte er gesehen, wie Menschen direkt neben ihm getroffen oder in Stücke gehauen wurden, hatte die Schreie gehört, wenn Gliedmaßen zerschossen wurden, Gedärme herausquollen oder Kiefer splitterten. Er hatte gegen grimmige Satsuma-Krieger gekämpft, die ihm und seinen Kameraden aus dem Hinterhalt auflauerten, hatte selbst Gliedmaßen abgehackt, bis der Boden schlüpfrig von Blut war und er über Leichen hinwegsteigen musste. In den Feldlazaretten von Kagoshima waren Epidemien ausgebrochen. Männer lagen abgemagert und hohläugig da, starben an Typhus und Ruhr, ohne den Feind je gesehen zu haben. Die Leichenhallen quollen über.
Doch irgendwie war er bisher verschont geblieben, nicht mal verwundet worden. Nobu hatte immer geglaubt, die Götter stünden dem Schicksal der Menschen gleichgültig gegenüber, aber aus irgendeinem Grund hatten sie ihm eine Galgenfrist gewährt. Bis jetzt, hieß das. Heute schien seine Zeit gekommen zu sein.
Ein Gedicht, das sein Bruder Yasutaro gern zu zitieren pflegte, ging ihm durch den Kopf:
Tsui ni yuku
Obwohl ich bereits gehört hatte,
Michi to wa kanete
Dass es einen Weg gibt,
Kikishikado
Den wir eines Tages alle einschlagen müssen,
Kino kyo to wa
Glaubte ich nie, für mich
Omowazarishi o
Sei dieser Tag heute gekommen.
Yasu hatte ihm erzählt, das sei das Todesgedicht eines berühmten Kriegers, Liebhabers und Dichters aus alten Zeiten. Nobu fiel jetzt ein, dass die Samurai
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