Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Manchmal fragte er sich, ob die Götter über ihn wachten, doch das bezweifelte er. Vermutlich war er ihnen eher egal.
Dann hatte der Sommer mit Macht eingesetzt. Eine derartige Hitze hatte Nobu noch nie erlebt. Die Männer wurden reihenweise ohnmächtig.
Eines Tages war Nobus Einheit mit einem Polizeikontingent zusammengetroffen, das zur Verstärkung der Truppen geschickt worden war. Nobu war überglücklich, darunter seine Brüder zu finden. Alle drei hatten sich freiwillig gemeldet, als die Regierung bekannt gab, dass ehemalige Samurai angeworben wurden – die einzigen Männer, die gegen die machtvollen Satsuma-Schwerter standhalten konnten.
Sie hatten die Nacht trinkend und mit dem Austausch von Geschichten verbracht. Der kränkliche Kenjiro, die Brille erstaunlicherweise intakt, hatte jetzt Farbe in den Wangen. Yasu mit seinem Humpeln war voller Geschichten über die Samurai gewesen, die er niedergemetzelt hatte, jeder ein Racheschlag für ihre Frauen und Jubei, hatte er gesagt. Und Gosaburo war den ganzen Weg aus Aizu gekommen, um sich den Kämpfen anzuschließen.
Ganz gleich, wie viele Soldaten fielen, es gab immer noch Tausende mehr. Schiffe voller Wehrpflichtiger trafen aus Tokyo ein, und die Waffenfabriken der Regierung arbeiteten Tag und Nacht, lieferten Kugeln und Schießpulver, Geschütze und Gewehre.
Die Truppen der Rebellen hingegen wurden durch Ortsansässige verstärkt, und die Bauern, die auf ihrer Seite waren, hielten sie auf dem Laufenden darüber, wo sich die Armee befand. Aber inzwischen gingen ihnen nicht nur Munition, Verpflegung und Verstecke aus, sondern auch der Nachschub an Männern. Einer nach dem anderen ergab sich. Die Armee stöberte sie immer wieder auf, schlug sie durch reine Überzahl zurück, bis man meinte, sie in die Ecke gedrängt zu haben. Dann waren sie komplett verschwunden. Ein paar Tage lang wusste niemand, wo sie waren. Und plötzlich tauchten sie wieder auf, nicht im Norden der Insel, wie die Generäle erwartet und wofür sie geplant hatten, sondern dort, von wo die Rebellen ihren Kampf begonnen hatten – in Kagoshima. Sie waren zum Sterben nach Hause gekommen.
Nachdem Nobu sie um die ganze Insel verfolgt hatte, war er wieder da, wo er angefangen hatte. In der Kaserne von Kagoshima hatte er sogar eine Matratze zum Schlafen. Und er wusste, dass Taka in der Nähe war, irgendwo in den Hügeln. Er wünschte, es gäbe eine Möglichkeit zu erfahren, ob sie in Sicherheit war.
Stöhnend neigte er den Kopf zu Boden. An sie zu denken, erfüllte ihn mit Schmerz. Gerade als der Krieg fast zu Ende war, als Nobu eine Zukunft vor sich gesehen hatte, als es möglich zu sein schien, zu ihr zurückzukehren, sollte er jetzt sein Leben verlieren – das war zu ungerecht, zu grausam.
37
Ein kleiner Mann mit zerbrochener Brille stieß Nobu in die Rippen, den Fuß in übel riechende Lumpen gehüllt. »Du da. Wieso bist du da unten rumgeschlichen?« Die durchdringende Stimme hallte von der Felswand wider. Der Mann mochte vor dem Krieg Schullehrer gewesen sein.
Immer mehr Männer hatten sich um Nobu versammelt und warfen ihm böse Blicke zu. Er fragte sich, ob sie wussten, dass sie eingekreist waren wie Füchse in der Falle. Die Armee hatte Verteidigungsanlagen rund um den Hügel errichtet – mannshohe Bambuszäune, dann mit Nägeln beschlagene Bretter, dahinter ein breiter, tiefer Graben, dann über dem Boden angebrachte Bambusbretter, die beim Betreten durchbrachen und einem die Beine mit Splittern zerfetzten, danach ein zweiter, mit Ästen gefüllter Graben, dann eine Barrikade aus Erde und Sandsäcken und dahinter eine Reihe mit Gewehren bewaffneter Soldaten. Jedes Schlupfloch war ihnen verschlossen. Diesmal würde nicht mal ein Wurm entkommen.
Nicht weit entfernt kniete ein untersetzter Mann. Sakurai. Sein Kopf sah blutig aus. Doch von Sato war nichts zu sehen. Wahrscheinlich tot, dachte Nobu, wie er und Sakurai es auch bald sein würden.
Er hörte Sakurais nasales Jammern, das Flehen um Gnade. Als sie vor fünf Monaten vom ersten Erkundungsgang zurückgekommen waren, hatte Sakurai damit geprahlt, wie er und Sato ein Rebellennest ausgehoben und den Feind eigenhändig zurückgeschlagen hatten. Ihre Blutergüsse bewiesen es. In seinem Bericht hatten sich Nobu, Taka und die Dorfbewohner in eine ganze Armee verwandelt, von der Sakurai und Sato angeblich mindestens zehn oder zwanzig zur Strecke gebracht hatten. Nobu war der Einzige, der die wahre Geschichte kannte, und er hielt den
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