Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Mund.
Die beiden Maulhelden erkannten bald, dass sie einen schlimmen Fehler begangen hatten, doch da war es zu spät. Sie waren befördert und an die Front versetzt worden, und wann immer es eine besonders gefährliche Aufgabe zu erledigen gab, wurden sie dafür ausgewählt. Irgendwie war es ihnen gelungen, am Leben zu bleiben. Auch Nobu war befördert worden, und jetzt, nachdem sie sich monatelang nicht begegnet waren, hatte man alle drei auf diese Mission geschickt.
Einige der Rebellen hatten bereits das Interesse an den Gefangenen verloren und schlurften davon. Nobu hörte Stimmen, Gesang und Musik und erkannte die Töne einer Biwa, einer Laute. Jemand spielte Volkslieder der Satsuma. Es war so heiß und stickig wie in einem Schmelzofen. Feuer knisterten, doch statt Essen roch er Metall. Er hatte gehört, die Rebellen seien so verzweifelt, dass sie begonnen hatten, Kochtöpfe und gebrauchte Patronen einzuschmelzen, um daraus Munition herzustellen. Anscheinend stimmten die Gerüchte.
Er runzelte die Stirn. Diese Raubeine waren nur Fußsoldaten. Ihnen von seiner Mission zu erzählen, würde nichts bringen. Sie würden den Brief einfach zerreißen. Irgendwie musste er zu General Kitaoka vordringen. Bis dahin war es am besten, den Mund zu halten. Sein Aizu-Akzent würde die Sache nur schlimmer machen. Auch Sakurai schwieg.
Nobu hörte das Klatschen, als der Brillenträger Sakurai eine Ohrfeige verpasste. »Was hattet ihr vor?«
Sakurai zuckte zusammen. »Wir haben einen …«
Ein mürrisch aussehender Bursche schob sein Gesicht nahe an Sakurais. »Weißt du, was wir mit Spionen machen?«
»Zeig’s ihm, Taniguchi.«
Der Mann ballte die Faust und blickte erst Nobu, dann Sakurai finster an, als versuchte er zu entscheiden, wen er sich als Ersten vorknöpfen wollte. Nobu machte sich auf den Schlag gefasst.
»Was geht hier vor?« Die Menge wich zurück, und ein bleicher Mann in Armeeuniform drängte sich durch. Seine Haltung zeugte von Autorität. Nobu machte verblichene rote Streifen an den Seiten seiner zerlumpten Hose aus. Der Mann war einst Offizier der kaiserlichen Garde gewesen oder hatte die Uniform vielleicht gestohlen.
»Wir haben sie am Berghang erwischt, Herr.«
Der Offizier blickte auf Nobu hinunter. »Was wolltest du hier?«, fragte er in einem strengen Ton, der eine Antwort verlangte.
»Ich habe eine Botschaft für General Kitaoka von General Yamagata.«
Vom Gürtel des Offiziers hing ein Amulett, das von einem Holzknebel gehalten wurde. Es wirkte seltsam affektiert, für gewöhnlich steckte man Amulette in den Ärmel oder eine Tasche.
»Du bist also ein Aizu. Wenn du behauptest, ein Bote zu sein, warum hast du dann nicht den Pfad genommen? Warum bist du wie ein Strauchdieb herumgeschlichen?« Nobu starrte finster zu Boden. Der Mann wusste so gut wie er, dass er erschossen worden wäre, bevor er auch nur zwei Schritte geschafft hätte. »Wie lautet die Botschaft?«
Den Brief sollte er besser nicht erwähnen. »Ich habe Befehl, direkt mit General Kitaoka zu sprechen.«
»Du glaubst also, du könntest hier geradewegs zu unserem Herrn vordringen? Woher soll ich wissen, dass du kein Meuchelmörder bist?«
»He. Kuni-don! Kuninosuké! Was haben wir denn da?« Wieder teilte sich die Menge, und ein dunkelhäutiger Mann mit einem buschigen Pferdeschwanz drängte sich durch.
Nobu erschrak. Er kannte diese Stimme. Unter dem Dreck und dem dichten Bart machte er schwere Lider und einen sinnlichen Mund aus. Takas Bruder Eijiro. Sonnenverbrannt, besser in Form und schlanker, aber er war es trotzdem. Nobus Herz machte einen Satz. Jetzt war er wirklich erledigt.
Er beugte den Rücken und senkte den Kopf. Mit etwas Glück würde Eijiro ihn nicht erkennen. Ihm fiel ihr letztes Zusammentreffen ein, in Yoshiwara vor mehr als einem Jahr. Damals hatte er Eijiro geholfen, doch das hatte ihm auch nichts genützt. Sie waren von Anfang an Feinde gewesen und waren es noch immer. Eijiro würde nicht zögern, ihn zu töten, vor allem jetzt, da die Rebellen am Ende ihrer Kräfte waren, und hier war Nobu, in ihre Mitte geworfen wie eine Opfergabe. Eijiro musste wissen, dass er sterben würde, und es würde ihm zweifellos das größte Vergnügen bereiten, Nobu mit sich zu nehmen.
»Gefangene!« Zwei Füße in dreckigen Lumpen und Hanfsandalen bauten sich vor Nobu auf. Eine Hand packte ihn am Schopf und riss seinen Kopf zurück. Unwillkürlich landete Nobus Blick auf dicken schwarzen Haaren, die aus großen Nasenlöchern
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