Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
seine Augen und unter den Wangenknochen lagen dunkle Schatten. Er hatte Lumpen um seine Füße gebunden, bemerkte Taka, mit zerfetzten Strohsandalen darüber. Seine Stimme wurde sanfter. »Der Herr befiehlt Ihnen, sich nicht zu töten. Er will nicht, dass Sie sterben. Er bittet Sie, ihn nicht in die andere Welt zu begleiten.«
Madame Kitaoka kämpfte sichtbar um Fassung. »Ihn nicht in die andere Welt zu begleiten?«, wiederholte sie, als wisse sie nicht, was sie sagte. »Wie kann es das sein, was der Herr wünscht? Warum sollte er mich vom Tod fortzerren? Warum sollte ich mir ein Leben in Schande wünschen? Warum sind Sie noch am Leben, Kuninosuké, nach all diesen Monaten? Sie sollten auf dem Shiroyama sein, bei Ihrem Herrn, sollten dem Tod ins Auge blicken und nicht hier herumdiskutieren wie eine Frau.« Ihren Worten fehlte jeglicher Kampfgeist. Auch Taka fühlte sich leer. Plötzlich erstreckte sich ihr Leben wieder vor ihr, und auch sie konnte keinen Sinn in alldem entdecken. Tante Fuchi begann krampfhaft zu schluchzen.
Kuninosuké war bleicher geworden, blieb jedoch standhaft und atmete schwer. Niemand würde sich töten, während er hier war.
Fujino, Kiharu und Okatsu in ihrer Bauernkleidung waren die einzigen, die bei Sinnen geblieben waren. Sie hoben die Kinder hoch, schüttelten sie, schlossen sie in die Arme, nahmen ihnen die Dolche ab und steckten sie zurück in die Scheiden. Die Kinder blickten sich benommen um.
Fujino ging zu Madame Kitaoka, legte ihre Arme um sie, hielt sie umfangen, und die beiden Frauen knieten sich hin. Madame Kitaokas Schultern zuckten, Fujino strich ihr über das Haar und sprach zärtlich auf sie ein wie zu einem Kind. Der Anblick war so außergewöhnlich, dass er Taka ein Stück weit aus ihrer Benommenheit riss. Nie hätte sie gewagt, Madame Kitaoka zu umarmen. Niemand hätte das gewagt.
Immer noch auf dem aschebedeckten Boden kniend, wandte sich Fujino dem Ankömmling zu. »Wir stehen in Ihrer Schuld, Toyoda-sama. Sie sind gerade noch zur rechten Zeit gekommen. Ich bin Fujino, die Ehefrau Nummer zwei Ihres Herrn.«
Er verbeugte sich. »Vergeben Sie mir, gnädige Frau. Ich hätte Sie erkennen sollen. Ich habe Ihr Haus in Tokyo oft besucht.«
Flehend streckte sie die Hände aus. »Bitte sagen Sie es mir. Mein Sohn, mein Eijiro. Wie geht es ihm?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann Sie nicht belügen. Als ich aufbrach, haben sich alle auf den Tod vorbereitet. Wir hatten keine Munition mehr, nichts zu essen. Aber eines kann ich Ihnen versichern. Sie können stolz auf ihn sein. Er wird wie ein Krieger sterben.«
Sein Blick fiel auf Taka, und sie merkte, dass sie mit leerem Blick vor sich hin starrte. Er hatte sein Leben riskiert, um vom Shiroyama herabzukommen, die von feindlichen Truppen besetzte Stadt zu durchqueren und sie hier zu finden. Sie überlegte, wie und warum er, die rechte Hand ihres Vaters, hier sein konnte, nicht auf dem gegenüberliegenden Berghang an der Seite ihres Vaters. Er hatte gesagt, ihr Vater habe ihn geschickt, doch sie fragte sich, ob das stimmte oder ob er, zum Teil wenigstens, ihretwegen gekommen war.
Doch sein Anblick verstärkte ihre Enttäuschung nur umso mehr. Dass er hier sein sollte, und nicht Nobu, war unerträglich. Sie wandte sich ab und schluckte schwer, versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Wenn sie ihnen freien Lauf ließ, dachte sie, würde sie nie mehr aufhören zu weinen.
Fujino griff nach Takas Arm und schüttelte sie. »Du erinnerst dich doch an Toyoda-sama. Er ist ein Held. Er ist einer der treuesten Männer deines Vaters. Er hat eine wichtige Botschaft von deinem Vater gebracht.«
Taka hörte den Eifer in der Stimme ihrer Mutter. Sie brachte es nicht über sich, ihn anzuschauen. »Ich habe seine Botschaft vernommen«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Wenn es der Wunsch meines Vaters ist, werde ich gehorchen.«
Sie hielt den Blick gesenkt. Plötzlich sah sie ihr Leben eine andere, unerwartete Wendung nehmen. Ihre Mutter würde wünschen, dass sie Kuninosuké heiratete – nicht jetzt, nicht in dieser schrecklichen Zeit, aber später, wenn alles vorbei war. Der Held, der dem feindlichen Beschuss getrotzt hatte, um die Botschaft ihres Vaters zu überbringen, der Mann, den ihr Vater geschätzt hatte und den er sich für sie wünschen würde, der sie alle an ihren geliebten Herrn erinnerte, wann immer sie ihn sahen, und den, wie ihre Mutter wusste, Taka als kleines Mädchen bewundert hatte – das war die
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