Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
an diesem Drama teilnehmen wollte, lag bei ihr. Sie war entsetzt über das Benehmen ihrer Mutter. Fujino war mutiger als alle anderen. Sie hatte das Blutvergießen in den Straßen von Kyoto gesehen, hatte sich der Polizei des Shogun entgegengestellt, und der größte aller Samurai – Takas Vater – war ihr Geliebter. Fujino wusste, dass sich Männer eher entleibt hatten, als in Gefangenschaft zu geraten. Aber ihr luxuriöses Leben in Tokyo hatte sie das alles vergessen lassen.
Taka schüttelte Fujinos Hand ab und schloss sich dem Kreis an. »Ich treffe meine eigenen Entscheidungen, Mutter.«
Sie zog ihren Dolch heraus, spürte die seidige Bindung des Griffs an ihrer Handfläche. Das kühle Metall stellte eine Verbindung her, die sie verloren hatte, zu etwas Uraltem, Wahrem und Mächtigem.
Natürlich wollte sie nicht sterben, das wollte niemand. Aber als Samurai musste man bereit sein, Dinge zu tun, die man nicht tun wollte. Sie würde bereitwillig und stolz in den Tod gehen. Ihr Rang verlangte es, und sie würde es in Würde hinter sich bringen.
Ihr Vater fürchtete sich nicht vor dem Tod, und sie auch nicht.
Der Sakurajima zeichnete sich schwarz vor dem ersten Morgenlicht ab. Rosa- und orangefarbene Streifen breiteten sich über den Horizont, und ein Aschestrom ergoss sich über den Kraterrand. Taka kamen die Tränen. Etwas Vollkommeneres, als mit diesem prächtigen Anblick vor Augen zu sterben, konnte sie sich nicht vorstellen.
Plötzlich ratterten Gewehrschüsse los wie Erbsen in einem heißen Eisentopf. Der Beschuss war lauter, zielgerichteter, intensiver als je zuvor. Blitze wie von einem Gewitter leuchteten an den Hängen des Shiroyama auf, bewegten sich auf die Stelle zu, an der sich der rote Fleck befunden hatte.
»Es hat begonnen«, sagte Madame Kitaoka leise.
Taka befühlte ihren Dolch. Wie hatte sie je daran denken können, ihren Vater durch die Weigerung zu verraten, mit ihm gemeinsam sterben zu wollen? Sie hatte ein gutes Leben gehabt, hatte Liebe und Glück gekannt. Jetzt wurde ihr die Möglichkeit geboten, auch gut zu sterben.
Stimmen hallten aus der Vergangenheit herüber. Sie dachte an ihre Kindheit in Kyoto, die schmalen Straßen mit den dunklen Holzhäusern, ihre Mutter, die jeden mit ihren Tänzen verzauberte, ihren Vater, der sich schwerfällig erhob und mittanzte, die Spiele, das Lachen, die winzige alte Geisha, die gackernd ihr Shamisen zupfte und sich die knotigen Hände rieb. Dann dachte sie an die Kämpfe, die auf Stangen gespießten Köpfe am Flussufer, die Polizisten des Shogun, wie sie Seite an Seite mit der Hand am Schwertgriff durch die Straßen marschierten.
Dann war sie in ihrem Tokyoter Haus, saß still in einem der riesigen, luftigen Zimmer, las und nähte. Sie sah Nobus Gesicht, dachte an jene unschuldigen Tage, wie sie durch die wunderschönen Gärten spaziert waren, wie sie sich an ihn gelehnt hatte, während sie an ihrem geheimen Platz im Wald gesessen, Wildgemüse gepflückt, auf der Veranda geschrieben hatten. Sie lächelte in sich hinein, als sie an ihre geheimen Treffen im letzten Sommer dachte und dann im Frühjahr, dachte an seine Berührung, seine Nähe. Sie wünschte, sie hätten zusammen sterben können, das wäre der perfekte Liebesbeweis gewesen. Doch es sollte nicht sein.
Taka hatte das Gefühl zu schweben, als wäre sie bereits auf dem Weg ins westliche Paradies. Das Dröhnen der Geschütze wurde schwächer. Um sie herum war Stille. Die Welt begann zu verblassen. Eine Aureole aus Licht erschien vor ihren Augen, wurde heller, rief sie zu sich. Sie meinte fast, Amida Buddha lächeln zu sehen, während er die Hand ausstreckte, um sie zu begrüßen.
Sie legte ihre Finger an die Kehle und tastete nach der pochenden Vene direkt unter ihrem Ohr, hob dann den Dolch, bog die Hand zurück und konzentrierte sich mit aller Kraft. Taka atmete tief ein. Sie musste es auf Anhieb schaffen, musste fest und genau zustechen.
Plötzlich wurde das Gewehrfeuer von einem Schrei übertönt. »Halt!« Eine schattenhafte Gestalt stürmte aus dem Wald auf die Bergkuppe, rannte auf sie zu. Taka erkannte eine Uniform, einen dünnen Körper und struppige Haare. Ihr Herz machte einen Satz.
Nobu! Natürlich. Wer sollte es anders sein? Wer hätte sich sonst die Mühe gemacht, sie zu finden, wenn nicht er?
Der Bann war gebrochen. Der Dolch glitt ihr aus den Fingern.
Der Vulkan war von Licht umrahmt. Taka schnappte nach Luft, so überflutet von Glück, dass sie meinte, ohnmächtig
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