Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Angst, die so unangemessen für die Tochter eines Samurai war. Sie war es ihm schuldig, mit Freuden und in Würde zu sterben. Das wäre eine kleine Wiedergutmachung für den Verrat, den sie an ihm begangen hatte, dafür, sich im Herzen mit seinem Todfeind verbündet zu haben, nicht nur einem Regierungssoldaten, sondern auch noch einem Mitglied des Aizu-Clans.
Jetzt sah sie alles ganz klar vor sich. So musste es enden. Das war die logische Schlussfolgerung aus den letzten paar Monaten – mit der Schwertlanze zu üben, die Samurai-Frauen kennen und bewundern zu lernen, bei Madame Kitaoka zu leben. Der Tod war die Vollendung des Weges der Samurai, um dessen Bewahrung ihr Vater kämpfte. Ihr fielen die siebenundvierzig Ronin ein und das Aufleuchten in Nobus Augen, als er ihr deren Geschichte erzählte, wie sie mit Freuden in den Tod gegangen waren. Das war es, was ihr Vater erwarten würde, und Nobu auch – dass sie glorreich aus dieser Welt schied.
Madame Kitaoka musterte sie aus schmalen Augen, als wollte sie sagen: Ich wusste, dass du das Richtige tun würdest. Taka steckte erst den einen, dann den anderen Arm in die Ärmel des weißen Gewandes und löste dabei den gestärkten Baumwollstoff voneinander. Ihr Schicksal war entschieden, sie würde es mit Würde annehmen. Doch trotz ihrer Bemühungen drängten sich noch immer rebellische Gedanken in ihren Kopf. Da musste es doch einen Weg zur Flucht geben. Sie atmete tief durch, durfte nicht mit so wirren Gedanken in den Tod gehen.
Takas Tanten hatten Räucherstäbchen entzündet. Mit Aloe, Nelken, Kampfer und Ambra parfümierter Rauch kräuselte sich in der Luft. Ein betäubender Duft, wie er buddhistische Tempel erfüllte, Bestattungen umwehte, an meditierende Mönche denken ließ. Als sie ihn einatmete, merkte Taka, dass ihr Geist ruhig wurde, ihr Herz nicht mehr so heftig pochte und die wirbelnden Gedanken zur Ruhe kamen. Es gab keinen Grund, am Leben zu hängen, das erkannte sie jetzt. Jung zu sterben, wenn das Leben noch vor ihr lag – das musste wohl wirklich schön sein.
Madame Kitaoka, die beiden Tanten und die drei älteren Kinder knieten in ihren weißen Gewändern im Kreis. Die Kinder machten ernste Gesichter wie stolze kleine Samurai.
Madame Kitaoka nahm ihren Dolch heraus und rückte die Seidenbindung am Griff zurecht. Der Dolch war eine kunstvolle Arbeit mit einer Metallscheide, umhüllt von Rehleder in Kirschblütenmuster. Als sie den Dolch aus der Scheide zog, spiegelten sich die Kerzen in der Klinge. Am Griff war das Kitaoka-Wappen angebracht. Takas Herz klopfte vor Stolz, Mitglied einer so edlen Familie zu sein. Madame Kitaokas Wangen waren gerötet, und ihr Gesicht strahlte, als wäre sie wirklich begierig, den Tod zu ihrem Geliebten zu nehmen. Ihr dünnes, spitzes Gesicht wirkte voller. Plötzlich war sie schön.
Takas Mutter, Tante Kiharu und Okatsu schauten mit kaum verhülltem Entsetzen zu. Madame Kitaoka wandte sich an sie. »Fujino, meine Schwester. Kiharu. Ich habe eine letzte Bitte. Sorgt dafür, dass Masa eine angemessene Einäscherung mit allen dazugehörigen Ritualen erhält. Die Armee wird versuchen, euch daran zu hindern, aber tut euer Bestes.«
»Es ist zu früh, letzte Bitten zu äußern«, protestierte Takas Mutter. Ihre Stimme zitterte, und ihr Atem kam stoßweise. »Sie brauchen nicht zu sterben, keiner von euch muss sterben.«
Ruhig antwortete Madame Kitaoka: »Die Sieger werden kein Erbarmen mit Samurai-Frauen haben. Sie werden uns Gewalt antun und zu Sklaven machen. Ehefrauen der Rebellen wurden bereits verhaftet und zur Arbeit nach Tokyo gebracht. Für uns gibt es nur einen Weg.«
»Der Kaiser wird Masa begnadigen«, jammerte Fujino.
Madame Kitaoka schüttelte den Kopf und lächelte mitleidig. »Ihr Geishas werdet es nie verstehen. Er will sein Leben nicht im Gefängnis beenden. Lieber stirbt er.«
Fujinos Augen blitzten. Sie bebte und sah aus, als würde sie gleich explodieren. »Wir sind moderne Menschen«, rief sie. »Wir essen Rindfleisch, wir tragen westliche Kleidung. Wir bringen uns nicht um. Sie erwarten von uns, dabeizusitzen und zuzuschauen, während Sie dieses barbarische Ritual durchführen?« Sie griff nach Takas Ärmel. »Du wirst nicht sterben«, sagte sie und packte sie am Arm. »Du bist keine Samurai, du bist meine Tochter.«
»Sie gehört zum Haus ihres Vaters«, erwiderte Madame Kitaoka ruhig.
Taka zögerte. Sie musste es nicht tun, erkannte sie. Niemand zwang sie dazu. Die Entscheidung, ob sie
Weitere Kostenlose Bücher