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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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zu werden. Die Bergkuppe, die schattenhaften Bäume und der immer heller werdende Himmel schwankten wie verrückt, und sie schloss die Augen, legte die Hände vors Gesicht. Ihre Ohren dröhnten. Eine Feldlerche begann zu trillern, und Taka spürte die erste Wärme des Tages auf ihren Handrücken.
    Er war jetzt da. Alles würde gut werden. Niemand würde sterben.
    Sie konnte es kaum erwarten, mit ihm allein zu sein. Da war so vieles, was sie ihm erzählen wollte. Sie überlegte, was er wohl denken würde, wenn er sie sah. Sie hatte sich so sehr verändert. Würde er immer noch dasselbe für sie empfinden? Taka konnte nicht glauben, dass sie je an seinem Kommen gezweifelt hatte. Sie hätte ihm mehr vertrauen sollen.
    Erst einmal würde sie sich zurückhalten müssen, würde sich zwingen, nicht aufzuschauen, vor Freude zu juchzen und zu lachen, zu ihm zu laufen und ihm die Arme um den Hals zu schlingen. Sie würde sitzen bleiben, ganz ruhig und still, würde irgendwie ihre Gefühle vor ihrer Mutter und den Habichtsaugen von Madame Kitaoka verbergen.
    Doch er war da, er war da. Er war tatsächlich gekommen. Der Gedanke war unerträglich süß, schmerzlich und wunderbar.
    Sie konnte nicht mehr an sich halten. Zitternd spähte sie durch die Finger.
    In der Ferne wurde noch immer geschossen. Taka hörte Scharren und Madame Kitaokas Stimme. »Gehen Sie weg. Lassen Sie mich los. Ich befehle es Ihnen. Toyoda-sama. Kuninosuké!«
    Kuninosuké …?
    Taka sackte zusammen, keuchte schwer, als hätte jemand sie geschlagen. Die rosigen Töne waren verblasst, und im Morgenlicht sah sie einen hochgewachsenen, bleichen Mann mit struppigem schwarzem Haar und zottigem Bart. Er hielt Madame Kitaokas Arm umklammert, und es sah fast so aus, als griffe er sie an, doch dann packte er ihre Hand und rang ihr den Dolch ab. Er drehte sich um, blickte mit flammenden Augen zu Taka, und sie bemerkte etwas an seinem Gürtel baumeln, einen kleinen roten Beutel mit Goldfäden, die das erste Sonnenlicht auffingen.
    Um sie herum schien die Welt zusammenzubrechen. Alles ergab einen schrecklichen Sinn. Sie hatte einen karmischen Kreislauf in Gang gesetzt, der nicht durchbrochen werden konnte. Die Götter hatten sie bestraft – weil sie Kuninosuké erlaubt hatte, ihr nahe zu kommen, ihm ihr Herz geöffnet und ihm das kostbare Amulett gegeben hatte, ihre einzige Verbindung zu Nobu. Sie hatte alles verloren, und es war allein ihre Schuld. Verzweiflung überkam sie, und sie schloss die Augen, sackte nach vorn, ließ ihren Kopf auf den mit Asche bedeckten Boden fallen, zu überwältigt für Tränen. Ihre Schultern bebten, und trockene Schluchzer schüttelten ihren Körper. Sie wollte nur noch allein gelassen werden, um ins Nichts zu verschwinden.
    »Keiner wird sterben, Befehl des Herrn. Steckt eure Dolche weg«, brüllte der Mann. »Den Göttern sei Dank, dass ich es rechtzeitig geschafft habe.« Seine Stimme zitterte. Taka überlief ein Schauder. Das war die Stimme, die sie an jenem Winterabend in Kagoshima gehört hatte, in der Nacht vor dem Aufbruch ihres Vaters.
    »Sie … Sie haben alles verdorben. Alles«, kreischte Madame Kitaoka. Sie stieß ein verzweifeltes Heulen aus, das klang, als käme es nicht aus einer menschlichen Kehle. Ein lautes Krachen von der anderen Seite des Tals erschütterte die Luft, und Vögel flatterten krächzend aus den Bäumen auf.
    Langsam hob Taka den Kopf. Ein scharfer Geruch stach ihr in die Nase. Aschehaufen und verkohlte Holzstücke füllten die Lichtung. Die Felsen und Steine waren geschwärzt, und das Gras war vollkommen verbrannt. Selbst die Bäume waren angesengt.
    Die beiden Tanten, Onkel Seppo und die älteren Kinder knieten immer noch in ihren weißen Gewändern im Kreis, starrten ausdruckslos auf ihre Dolche. Taka wusste, dass sie genauso verstört aussehen musste. Sie waren alle schon halbwegs in der anderen Welt gewesen, hatten Dinge gesehen, die sie nie vergessen würden. Madame Kitaokas Haar hing in wirren Strähnen um ihre Schultern. Ihr Gesicht war in sich zusammengefallen, und ihre Augen waren stumpf, als hätte sie diese Welt bereits verlassen und es wäre qualvoll, zur Rückkehr gezwungen zu sein. Dort, wo sie den Dolch angesetzt hatte, rann Blut an ihrem Hals herab. Einen Augenblick später, und es wäre zu spät gewesen.
    Mit aufgerissenen Augen schaute sich Kuninosuké unter ihnen um. Er keuchte. »Es tut mir leid«, sagte er brüsk. Unter dem zottigen Bart war sein Gesicht schmaler als zuvor, und um

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