Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
perfekte Partie. Madame Kitaoka würde es auch wollen. Taka stöhnte und schüttelte den Kopf. Wenn sie Nobu nie kennengelernt hätte, wenn er nicht wieder in ihr Leben getreten wäre, hätte sie sich damit abfinden können. Doch jetzt kam es ihr wie die grauenvollste aller möglichen Zukunftsaussichten vor.
»Lass ihr Zeit, Fujino«, sagte Tante Kiharu. »Das arme Mädchen ist in die andere Welt und zurück gereist. Kinder, lauft hinunter zum Brunnen und holt Wasser und etwas zu essen. Bringt so viel, wie ihr finden könnt.« Die Kinder hatten ihre weißen Gewänder abgeworfen. Sie verschwanden zwischen den Bäumen, als hätten die Ereignisse der Nacht nie stattgefunden.
»Da kommen noch mehr Leute«, rief einer zurück. »Der Wächter ist hier.«
Das Gewehrfeuer hatte sich noch verstärkt. »Ich habe eure Flammen vom Tal aus gesehen.« Füße in Strohsandalen knirschten über die Steine. Der Stimme des Wächters war streng. »Was denken die sich bloß dabei, das ganze Feuerholz zu verbrennen, hab ich mich gefragt.«
Die Schritte verstummten, und Taka hörte ein Keuchen. Der Wächter brabbelte weiter, war schwer zu verstehen über den Schüssen. »Ich bin hier raufgekommen, so schnell mich diese alten Beine tragen wollten. Musste den Weg im Dunkeln finden. Der Bursche ließ sich nicht abweisen. Hat mitten in der Nacht an die Tür getrommelt, hat mich nicht mal einen Bissen essen und was trinken lassen. ›Schnell, schnell‹, sagt er. ›Warum die Eile?‹, frag ich. ›Ist dringend‹, sagt er. Und das, wo ich doch dachte, der wäre taubstumm.«
40
Irgendwie gelang es Taka, auf die Füße zu kommen und zur Lücke zwischen den Bäumen zu stolpern. Tief atmete sie den scharfen, süßen Geruch von Harz und Kiefernnadeln ein, schob Büsche und wogendes Chinaschilf beiseite. Sie musste zum Rand der Lichtung gelangen, musste sehen, was auf dem Shiroyama geschah. Schwankend hielt sie sich an einem Ast fest und schaute über das Tal. Lichter brannten, und die schattenhaften Ruinen der Häuser nahmen allmählich Gestalt an. Hinter dem Vulkan breiteten sich Streifen aus hellem Gold, Bernstein und Violett über den Himmel. Ein Vogel zwitscherte, und andere beantworteten seinen Morgenruf.
Rauch hing wie ein Leichentuch über dem Shiroyama. Blitze zuckten darüber, nahe der Stelle, wo der rote Fleck gewesen war. Doch nun war dort kein Lichtschein mehr zu sehen. Gewehrschüsse hallten von der Bergen wider, dröhnten ihr in den Ohren, machten das Denken schwer. So war es auch besser. Denken tat zu weh. Bestimmt konnte niemand ein so erbarmungsloses Dauerfeuer überleben.
Hinter sich hörte sie Madame Kitaoka. »Was hast du getan, du alter Narr? Du hast uns verraten! Du hast die Armee auf uns gehetzt!«
Wie ungerecht, dachte Taka, da es Madame Kitaokas Idee gewesen war, das Feuer zu entzünden. Jetzt wussten alle, wo sie waren.
»Aber …«, kam es vom Wächter.
»Schweig!«, schrie Madame Kitaoka.
Takas Beine fühlten sich an, als gehörten sie ihr nicht. Langsam drehte sie den Kopf. Ihr wurde schwindelig, wenn sie sich zu schnell bewegte.
Ihr Versteck war also entdeckt worden. Dass Kuninosuké es kannte, war keine Überraschung. Er musste mit Takas Vater oft hier gewesen sein, er kannte Madame Kitaoka, die Tanten, Onkel Seppo. Darüber brauchte man sich keine Sorgen zu machen.
Aber wenn die Armee sie gefunden hatte, war es das Ende für sie alle. Sie hatten geglaubt, Soldaten würden sich nicht mit ihnen aufhalten, weil sie nur Frauen waren, doch da hatten sie sich anscheinend geirrt. Bewaffnete Männer – vielleicht Hunderte – konnten sich im Schutz der Dunkelheit den Hang hinaufgeschlichen haben. Madame Kitaoka musste Bewegung zwischen den Bäumen oder das Schimmern von Gewehrläufen entdeckt haben. Vermutlich war der Wald voll von ihnen, und sie lauerten hinter jedem Baum und Busch, warteten auf das Signal, herauszustürzen. Vielleicht würden die Soldaten sie alle erschießen, eher aber sie verprügeln, vergewaltigen, mit sich nehmen und zu Sklaven machen, genau wie Madame Kitaoka gesagt hatte.
Taka wünschte, sie hätte auf Madame Kitaoka gehört. Besser, sie hätten sich an Ort und Stelle getötet, um einer solchen Demütigung zu entgehen.
Der Wächter hatte seinen Strohhut abgenommen und drehte ihn in seinen knotigen Fingern, den Kopf hielt er gesenkt. Madame Kitaokas Augen funkelten. Sie war auf den Füßen, den Arm mit dem Dolch erhoben. Offenbar hatte sie ihn Kuninosuké wieder abgerungen. Der
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