Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
herrschte, als sie sich erhob, ihre Mutter hinter ihr. Der Raum glühte im gedämpften Licht, das durch die Shoji hereinsickerte.
Verstohlen warf sie einen Blick auf ihren Bruder Eijiro, der an dem Platz kniete, welcher eigentlich für ihren Vater bestimmt war. Sein kantiges Gesicht, das genaue Abbild ihres Vaters, war gerötet und verquollen, und seine großen Hundeaugen waren halb geschlossen. Er hatte mal wieder einen Kater, dachte Taka, aber wenigstens hatte er es rechtzeitig aus dem Vergnügungsviertel nach Hause geschafft. Missmutig fächelte er sich Luft zu, den Kopf gesenkt. Sein Gewand hing offen, und aus seiner Brusttasche ragte ein gewaltiger goldener Chronometer. Eijiro wirkte eindeutig schlampig im Vergleich zum eleganten Masuda-sama, der erst mit dem einen teuer behosten Bein herumrutschte, dann mit dem anderen, als wäre er es nicht gewohnt, auf dem Boden zu sitzen.
Taka erwärmte den Teebecher, maß den pulvrigen grünen Tee ab, schäumte ihn auf und schob den Becher über die Tatamimatte zu Masuda-samas Vater, der mit gekreuzten Beinen auf dem Ehrenplatz saß, vor der Tokonoma-Nische mit den elegant geschwungenen Borden, der Bildrolle und der hohen Bambusvase, in der nur eine einzelne, perfekt arrangierte Kamelienblüte steckte. Er hielt den Becher in beiden Händen, während er trank, nahm die drei erforderlichen Schlucke, gefolgt von einem Schlürfen.
»Es ist lange her, seit ich grünen Tee genossen habe. Köstlich«, sagte er mit einem Grunzen und leckte sich die Lippen.
»Wie schön zu sehen, dass diese alte Kunst bewahrt wird«, sagte Madame Masuda. Vielleicht war sie doch nicht so hochnäsig, wie es den Anschein hatte. »Ich habe selbst die Teezeremonie gelernt, als ich Kind war. Wir bemühen uns so sehr, westlich zu werden, dass wir Gefahr laufen, unsere eigene Kultur zu vergessen.« Sie wandte sich an Fujino. Taka merkte, wie Madame Masuda nach der angemessenen Art suchte, sich Fujino gegenüber zu verhalten, nach dem richtigen Maß an Respekt oder Vertraulichkeit. Takas Mutter war die Ehefrau Nummer zwei des ehemaligen obersten Ratgebers im Kaiserreich, einst der mächtigste Mann des Landes, auch wenn er sich jetzt zurückgezogen hatte. Doch sie war auch eine Geisha, per Definition – zumindest laut dem traditionellen Ständesystem – nicht einmal Verachtung wert, das Niederste vom Niederen.
»Ich selbst bin eine Stadtfrau«, wagte sich Madame Masuda vor. »Wie ich höre, haben Sie Ihre Tochter in den Geisha-Künsten unterrichtet. Sagen Sie, welcher Tanzschule gehören Sie an?« Ihr Lächeln war farblos. Also hatte sie sich zu Vertraulichkeit entschlossen. Taka hörte den verächtlichen Unterton heraus. Wie konnte dieses hochnäsige alte Weib es wagen, sich darüber zu mokieren, dass Takas Mutter eine Geisha war? So eine Bemerkung hätte sie sich in Anwesenheit von General Kitaoka nie erlaubt.
Fujino wusste damit umzugehen und ließ ihr perlendes Lachen ertönen. »Wir wollten unserer Tochter eine möglichst breitgefächerte Ausbildung zukommen lassen«, sagte sie heiter. »Sie besucht die Kijibashi-Oberschule. Vielleicht haben Sie davon gehört. Kijibashi ist die erste Oberschule für Mädchen in diesem Land. Wir haben sie direkt nach der Eröffnung dort angemeldet.«
»Die Schule ist mir wohlbekannt«, erwiderte Madame Masuda seidig. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Ihre Haut spannte sich wie eine Maske über ihr Gesicht. »Sie müssen das Wetter hier doch sehr angenehm finden nach der Hitze von Kyoto. Sie sind aus Gion, nehme ich an.«
Taka lächelte in sich hinein. Eine bloße Stadtfrau würde ihre Mutter nie übertrumpfen. Fujino war immun gegen spitze Bemerkungen.
»Wie ich höre, haben Sie in Amerika studiert, Masuda-sama«, trillerte Fujino. »Unsere Taka ist in Mathematik und Englisch, Geschichte und Französisch unterrichtet worden. Sag etwas auf Englisch, Taka.«
Takas Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie stockend die englischen Sätze aussprach: »You are welcome. Our house very small.« Ihr Gesicht brannte, und sie starrte auf die Tatamimatte.
Masuda-sama nuschelte: »Our house is very small. Thanks. You speak English well.«
Taka hob den Kopf. Ihr war bewusst, dass sie von zwei braunen Augen gemustert wurde. Eigentlich hatte sie erwartet, dass Masuda-sama auch nervös sein würde, doch er wirkte beunruhigend gelassen und selbstsicher. Tatsächlich sah er recht gut aus, und sie musste zugeben, dass sein Blick freundlich war. Aber das spielte keine Rolle.
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