Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Schmerzen, so spürbar wie die Prügel, die Eijiro ihm verabreicht hatte. Manchmal war es ein dumpfer Schmerz, manchmal ein Krampf wie ein Schlag in den Magen, der ihn zusammenfahren ließ und ihm Tränen in die Augen trieb.
Einmal musste er einen Brief überbringen, als er ein schlankes junges Mädchen in einem schlichten Kimono sah, das Haar zurückgebunden, begleitet von jemandem, der wie eine Anstandsdame wirkte. Nobu ging ihr nach und hatte sie fast eingeholt, als er merkte, dass es nicht Taka war. Wie hatte er nur glauben können, dass sie es war, fragte er sich ärgerlich, in dieser Spelunkengegend, wo er dieser Tage den Großteil seiner Zeit verbrachte?
Und einmal wurde er auf einen Botengang geschickt, der ihn über die Ginza führte. Vor der Schwarzen Päonie standen Rikschas aufgereiht, und er merkte, wie er nach Gonsuké und dem Kitaoka-Wappen Ausschau hielt, einer Feder in einem Kreis. Dann kamen ein paar Frauen in üppigen westlichen Kleidern heraus, und er gaffte sie an, bis er fortgescheucht wurde, aber natürlich war Taka nicht dabei. Was für ein Narr er doch gewesen war, redete er sich ein, so unachtsam zu werden, sich zu dem Glauben verführen zu lassen, es wäre möglich, glücklich zu sein, und es gäbe für ihn mehr als den reinen Kampf ums Überleben. Und jetzt musste er den Preis dafür bezahlen.
Doch dann war eines Tages etwas passiert, das alles verändert hatte. Er hatte bei Nagakura vorbeigeschaut, um zu sehen, wie es ihm ging, und Briefe von seinen Brüdern abzuholen. Zu seiner Überraschung kam ihm der eher würdevolle, in seinen Bewegungen sonst so gemessene ehemalige Vizegouverneur von Aomori im Eingang entgegengelaufen. Für gewöhnlich war er verdrießlich, dauerhaft verwirrt über die Katastrophe, die über sie hereingebrochen war, doch an diesem Tag hatte er gestrahlt.
»Bald wird es Aufnahmeprüfungen für die Heereskadettenanstalt geben«, hatte er gesagt, noch bevor Nobu seine Sandalen ausgezogen hatte. »Du stammst aus einer Samurai-Familie, das Kämpfen liegt dir im Blut. Warum bewirbst du dich nicht? Wenn du die Prüfung bestehst, wird man dich zum Armeeoffizier ausbilden. Ich werde dein Bürge sein. Dieser Tage gibt es nicht mehr viel, für das ich den Kopf hoch tragen kann, aber das ist das Mindeste, was ich für den Sohn eines alten Freundes tun kann.«
Erschrocken hatte Nobu sein Paket fallen lassen. Er war vollkommen sprachlos und dann, als er darüber nachdachte, abwechselnd begeistert, nervös und beklommen. Er wusste, dass die Samurai-Truppen, aus denen die Armeen der Clans bestanden hatten, aufgelöst worden waren. Jetzt gab es eine nationale Armee, die erst vor ein paar Jahren aufgestellt worden war und für die sich selbst jemand wie er, aus einem der besiegten Clans, bewerben konnte. Für einen Aizu war es praktisch die einzige Möglichkeit, Arbeit zu bekommen. Regierungsämter wurden von Männern aus den herrschenden Clans mit Beschlag belegt – den Choshu, den Tosa, den Hizen und den verhassten Kartoffelsamurai, den Satsuma. Er hätte eine Unterkunft, zumindest während der Semesterzeit, und da er aus armen Verhältnissen stammte, würden seine Gebühren bezahlt werden. Sogar ein bisschen Taschengeld würde er bekommen. Er würde den Kopf wieder hoch tragen können. Er würde eine Zukunft haben – falls er denn aufgenommen würde.
Das Licht schwand. Nobu konnte seine Buchseiten kaum noch erkennen. Er zog an seiner Pfeife und dachte an den winterlichen Tag, als er zur Heeresbildungsverwaltung gegangen war, um seine Aufnahmeprüfung zu machen. Zusammen mit anderen Bewerbern, alles Jungen in seinem Alter, hatte er sich in einem riesigen, leeren Raum auf eine eiskalte Tatamimatte gekniet und gezittert, als die Kälte durch seine dünne Kleidung drang. Seine Finger waren so steif, dass es schwierig gewesen war, mit dem Pinsel umzugehen.
Als er an der Reihe war, wurde er gebeten, laut aus Rai Sanyos Inoffizieller Geschichte Japans vorzulesen, und hatte im Stillen Taka gedankt, ihm beim Lernen geholfen zu haben. Auch Arithmetikaufgaben waren zu lösen, und er hatte einen Brief an einen Freund in seiner Heimatstadt verfassen müssen, in dem er erklärte, warum er eine Militärkarriere anstrebte, und dann hatte es eine Befragung und eine körperliche Untersuchung gegeben.
Dann Schweigen. Nobu hatte eine niedere Tätigkeit nach der anderen angenommen, um ein Dach über dem Kopf zu haben, ein wenig Geld zu sparen und nicht zu verzweifeln, während die Zeit
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