Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
zu gehen.« Die alte Frau stieß ein Glucksen aus. »Wir wissen natürlich, dass du dir keine Burgenstürmerin leisten kannst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich für irgendjemanden in den Ruin stürzt, mein Sohn, du besitzt nichts, um dich in den Ruin zu stürzen. Aber du könntest es mit einer Dienstbotin, einer Serviererin oder einem Badehausmädchen versuchen. Wir haben Damen für jeden Geldbeutel, und für einen hübschen Jungen wie dich können wir einen Sonderpreis aushandeln. Wir würden doch nicht wollen, dass du in einer stinkenden Gasse bei einer Nachtschwalbe oder einer Flussente oder einem Hundert-Mon-Flittchen landest, nicht wahr? Das wäre Verschwendung bei einem so netten jungen Burschen wie dir.« Die Frau gackerte, und das Mädchen bog sich vor Lachen.
Schnauben ertönte von der anderen Seite des Raumes, wo Bunkichi und Zenkichi, Nobus Kollegen, sich eine Flasche Sake teilten und ihre langen Pfeifen rauchten.
»Was redest du denn da, Tantchen?«, knurrte Bunkichi. Seine Schärpe war locker gebunden, seine Baumwolljacke stand offen und enthüllte einen flachen Brustkorb, dünne Arme und sehnige Schenkel. Die Serviererinnen tätschelten ihn bewundernd. »›Kurtisane‹, ›Burgenstürmerin‹? Heutzutage benutzen wir bodenständigere Ausdrücke. ›Mietdamen‹, sagt man nicht so? Und euer Etablissement hier – das ist ein ›Mietsalon‹, glaube ich. Und du bist jetzt eine ›Madame‹, kein ›Tantchen‹ mehr.« Er nahm eine haarige grüne Schote aus der Schale vor sich, quetschte sich eine gekochte Sojabohne in den Mund und rülpste.
»Du warst schon immer ein schlauer Kopf, was, Bunkichi?«, sagte die Frau. Sie hatte ein welkes Gesicht und schmale schwarze Augen, denen nichts entging. »Wie nennen sie es noch – das Viehbefreiungsgesetz?« Sie schnaubte verächtlich.
»Das Gesetz zur Emanzipation von Prostituierten«, verbesserte Zenkichi, streckte seinen Brustkorb vor und verlieh den Wörtern eine komische pompöse Note. Er war ein glattgesichtiger Bursche mit dem Gehabe eines Lebemanns.
»Dem Geschäft hat das jedenfalls nicht gutgetan«, sagte die alte Frau bitter. »Einige Mädchen aus den anderen Häusern haben die Gelegenheit genutzt und sich aus dem Staub gemacht. Die Götter mögen wissen, wo sie gelandet sind. Aber die besten Häuser, wie unseres, hatten keine Probleme. Wir waren immer nett zu unseren Mädchen.« Ihr Gesicht verzog sich zu einem dünnen Lächeln. »Doch du hast ganz recht, mein Junge. Heutzutage wird gekauft und verkauft, und unseren Mädchen wurden ihre Schulden erlassen. Aber diese dummen Wesen häufen einfach nur neue an. Also siehst du, dass wir immer noch Kunden brauchen – wie unseren lieben Mori-sama. Und alle verstehen die alten Bezeichnungen besser als die neuen.«
Und so war er wieder hier, in Yoshiwara, dem Viertel des endlosen Vergnügens, in dem es nie dunkel wurde, die Lichter nie erloschen und die Straßen voller Nachtschwärmer waren. Jahre war es her, seit Nobu als Junge zum ersten Mal hier gewesen war und geduldig im Vorraum gewartet hatte, während sein Herr im Obergeschoss die Zeit vertändelte.
Nachdem er Mori-sama durch das Große Tor gefolgt war und neben Bunkichi und Zenkichi die Hauptallee entlangging, kam ihm alles hier viel schmutziger, viel schäbiger vor, als er es in Erinnerung hatte. Schlangenverkäufer und Wahrsager hockten im Staub, Teehaus-Bedienungen dösten in kühlen Ecken hinter herabgelassenen Jalousien, und eine einzige Imbissbude bot den Dienstboten aus den Freudenhäusern Schalen mit lauwarmen Nudeln an. Das Funkeln der Erregung, das Versprechen endloser Möglichkeiten war vollkommen verschwunden. Das Viertel hatte seinen Glanz verloren. Oder vielleicht war er derjenige, der sich verändert hatte, nicht Yoshiwara.
Sogar das berühmte Kiefernzapfen-Haus wirkte eindeutig heruntergekommen. Die Tatamimatten waren abgenutzt und schäbig, die Holzgitter zerbrochen, die Papierbespannungen grob geflickt. Der Vorraum, in dem die Begleiter warteten, war feucht und stickig und roch nach abgestandenem Essen und dreckigem Bettzeug. Aus dem Stockwerk darüber kamen mädchenhaftes Gekreisch und gellendes Lachen, das Klimpern von Shamisen und die Geräusche von Gesang und Tanz, die zunehmend lauter und wilder wurden. Später würden, wie Nobu wusste, Grunzen, Stöhnen und wollüstige Schreie zu hören sein.
»He!« Das Mädchen mit dem schelmischen Gesicht versuchte sich Nobus Buch zu schnappen, und als er es ihr wegnehmen
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