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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Downer
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dieser Bursche aus Tosa, dieser elende Emporkömmling, der es dir so angetan hat? Armer Nobu. Er war ein so ernster Junge. Das muss ihm bestimmt schwerfallen. Von ihm in Yoshiwara zu hören, ist das Letzte, was ich erwartet hätte.«
    Fujino und Eijiro begannen sich wieder über Tsukasa zu streiten. Taka starrte auf die Tatami und hörte nicht mehr zu.
    Ihre Gedanken kehrten zu einem sonnigen Sommertag vor zwei Jahren zurück. Sie hatte mit Nobu zusammengesessen und ihm beim Lesen geholfen, wie sie es immer tat. Holprig hatte er sich durch einen Text über Kusunoki Masashige und dessen Sohn Masatsura gekämpft, die treuen Krieger, die in alten Zeiten ihr Leben für den Kaiser geopfert hatten, als Nobu plötzlich innehielt und mit leuchtenden Augen aufschaute. »Ich kenne diesen Text«, hatte er gesagt.
    Er hatte in die Ferne geschaut und ihn vollständig zitiert, wobei sich seine Stimme so melodisch hob und senkte, dass ihr Tränen in die Augen getreten waren. Die ganze Zeit hatte sie gedacht, sie unterrichte ihn, doch nun begriff sie, dass auch er sie etwas lehrte. Sie hatte ihn gefragt, wo er diesen Text gelernt hatte, und seine Antwort war so leise gewesen, dass Taka sie kaum verstehen konnte. »Auf dem Schoß meiner Mutter.« Ihre Mutter hatte nie aus den Klassikern zitiert, ja, es war zweifelhaft, ob Fujino sie überhaupt kannte. Geisha-Lieder waren ihre große Liebe. Taka hatte plötzlich erkannt, dass sie nichts über Nobu wusste – wer er war, woher er kam. Er hatte nie ein einziges Wort über sich oder seine Vergangenheit preisgegeben.
    Danach hatte Taka ihn gebeten, noch mehr für sie zu zitieren. Doch wenn sie ihn nach seiner Mutter fragte, hatte er immer nur leise geantwortet: »Sie ist weit fort.« Und das war alles, was er dazu sagen wollte.
    Er hatte etwas Besseres verdient, als Dienstbote zu sein, dachte sie, etwas Besseres, als herumzulaufen und die Befehle anderer auszuführen. Und jetzt wusste sie, wo er war. Sie lächelte. Vielleicht würde sie ihm einen Brief schreiben. Nichts Unpassendes, nichts Beschämendes oder Persönliches, etwas Einfaches, nur ein paar Zeilen.
    »Nobu-sama«, begann sie in ihren Gedanken den Brief. Ihr kam es seltsam vor, eine so respektvolle Anrede wie »-sama« für einen Dienstboten zu benutzen, aber für sie war er das nicht. Er war viel mehr als das. »Nobu-sama. Ich bin froh, durch meinen älteren Bruder von Ihnen gehört zu haben. Zwei Jahre sind vergangen, seit Sie unser Haus verlassen haben. Ich hoffe, Ihnen geht es gut. Taka.« So was in der Art.
    Die Dienstboten würden wissen, wo Mori-sama wohnte, denn sie brachten Nachrichten zu ihm. Okatsu musste sich nur umhorchen, und Taka konnte darauf vertrauen, dass sie diskret vorgehen würde. Dann konnte Okatsu den Brief abliefern. Gemeinsam würden sie sich einen guten Grund ausdenken, warum Okatsu am Haus von Mori-sama vorbeikommen würde – auf dem Weg zum Haus eines ihrer Verwandten vielleicht oder während eines Botengangs.
    Taka seufzte. Okatsu war die Dienerin, Taka die Herrin, und doch war Okatsu viel freier als sie. Okatsu war ständig unterwegs, hierhin und dorthin, erledigte Besorgungen, aber Taka konnte das Haus nur mit einer Anstandsdame verlassen. Und bald wäre sie verheiratet, und die Gefängnistüren würden sich für immer schließen. Das war ihr jetzt vollkommen klar. Sie musste eine Möglichkeit zur Flucht finden – und der Schlüssel dazu war Nobu.

10
    »Und da steht er, die Arme in die Hüften gestemmt wie der Riese Benkei vor den zwanzigtausend«, krähte Bunkichi zum dritten Mal an diesem Tag, während Mori-sama schallend lachte. »Und diese Bande – Sie hätten Sie sehen sollen, Herr. Große, vierschrötige Kerle mit Armen wie Baumstämmen, von Kopf bis Fuß tätowiert. Ein Blick auf unseren Nobu hat gereicht, und sie haben den Schwanz eingezogen, die ganze Bande, und sind abgehauen!«
    »Ein echter Held, was?« Mori-sama grinste Nobu aus halb geschlossenen Augen boshaft an. Darunter hingen dicke Tränensäcke, und sein Kimono stank nach Tabak. Er war ein Tosa, aus einem der vier abgelegenen Clans, die sich verbündet hatten und vor weniger als zehn Jahren nach Edo marschiert waren, um die Stadt, das Land und die Regierung zu übernehmen. Mori sprach nicht wie ein Kartoffelsamurai, aber für Nobus Ohren klang der Dialekt genauso hässlich, voll mit fremdartigen Wörtern und dem schroffen Näseln einer fernen Bergprovinz.
    Als Mann aus dem Süden und einer der Sieger machte es ihm

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