Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Masuda-sama, doch gleichzeitig würde sie sich etwas überlegen müssen, den schlimmen Tag hinauszuschieben. Zum einen war da ihr Unterricht. Sie musste ihr akademisches Jahr beenden. Bisher hatte sie nie gewagt, Spielchen mit ihrer Mutter zu treiben. Dazu war Fujino viel zu gewieft. Aber nun musste Taka es versuchen.
Solange sie in Tokyo blieb, würde sie Nobu sehen können. Er würde sich bald wieder mit ihr in Verbindung setzen, über die Mauer klettern und durch den Garten schleichen, um sie auf der Veranda zu überraschen, und dann würden sie nach einem Weg für ein gemeinsames Leben suchen.
Teil III NORDEN UND SÜDEN
16
Neunter Monat, Jahr der Ratte, neuntes Jahr der Meiji-Ära (Oktober 1876)
»Hai! Hai!«
Heisere Schreie kündeten das Näherkommen einer Packpferdkolonne an. Zweige knackten, und Blätter wurden zertrampelt, während die Kolonne sich auf dem schmalen Pfad schnaubend und schwankend den Hügel hinaufwand. Nobu, der immer wieder den mit stinkendem Wasser gefüllten Hufabdrücken ausweichen musste, stieß sich den Zeh an einem Stein und fluchte. Seine Strohsandale hatte sich aufgelöst. Der breite Rücken seines Bruders Yasutaro verschwand den Pfad hinauf.
»Warte!«
Nobu setzte sich hin, warf die zerrissene Sandale an den Straßenrand und löste eine neue von seinem Bündel. Er hätte nicht sagen können, wie viele er schon verschlissen hatte.
Yasu lehnte an einem Baum, das Gewicht auf das unverletzte Bein gestützt, und wischte sich über die Stirn. Sein Gesicht war schlammverschmiert. »Kann nicht mehr weit sein«, murmelte er. Sie setzten sich wieder in Bewegung und traten neben den Pfad, um die dampfenden Pferde mit ihren gewaltigen Lasten vorbeizulassen.
Der Herbst war mit aller Macht gekommen. Der feurigen Hitze des Sommers waren die sturzbachartigen Regenfälle der Taifunsaison gefolgt. In Tokyo wechselte das Laub gerade erst die Farbe, doch hier im Norden waren die Bäume schon fast kahl.
Die Armee hatte Nobu und seinen Kadettenkameraden ein paar Tage Urlaub gegeben, um jetzt, im neunten Monat des Jahres, das Fest der Ersten Früchte zu feiern. Niemand wusste genau, was im Süden vorging, aber alle vermuteten, dass man sie bald zum aktiven Dienst einberufen würde, und daher war es eine gute Möglichkeit, den Segen der Eltern zu erbitten, bevor sie in die Schlacht zogen. Nobu hatte jedoch einen zusätzlichen Grund, die lange Reise nach Norden zu unternehmen. Er hatte eine besondere Aufgabe zu erfüllen, eine letzte Verpflichtung gegenüber Jubei, der ihnen allen ein treuer Freund gewesen war.
Er verzog gequält das Gesicht, als ihm die Ereignisse des Sommers wieder vor Augen standen. Allein in der Stadt, getrennt von seinen Kameraden, ohne die Disziplin und Struktur des Armeelebens hatte er offensichtlich völlig die Kontrolle über sich verloren. Nur so ließen sich die schrecklichen Dinge erklären, die er getan hatte. Er hatte sich vergessen, hatte sich von seinen Gefühlen leiten lassen. Wenn es ihn so sehr nach einer Frau verlangte, hätte er zu einer Käuflichen gehen, für das Vergnügen der Nacht bezahlen, dann verschwinden und alles vergessen sollen, wie andere Männer es taten – wie es jeder Mann mit auch nur einem Funken Verstand getan hätte, redete er sich ein. Stattdessen hatte er sich von dem schmählichen, für einen Samurai völlig unangemessenen Verlangen wie ein Packpferd an der Nase führen lassen und war einem Mädchen von der Sorte nachgestiegen, die nur in die Katastrophe führen konnte. Er war sogar in die Residenz des Feindes eingedrungen. Das war purer Wahnsinn gewesen und hatte den Ärger regelrecht herausgefordert. Eine schreckliche, beschämende Episode seines Lebens, und er hatte gut daran getan, sie hinter sich zu lassen.
Eine unumstößliche Konsequenz seines unverantwortlichen Verhaltens war Jubeis Tod gewesen. Bis an sein Lebensende würde Nobu diese fürchterliche Nacht nicht vergessen. Nachdem er vom Schauplatz des Kampfes geflohen war, hatte er sich zusammengerissen und war zu Yasu gelaufen. Sie hatten eine Rikscha angehalten, waren zu der stillen Straße hinter dem Anwesen der Kitaokas zurückgeeilt und hatten gebetet, dass Jubeis Leiche nicht von wilden Hunden zerfleischt worden war. Während sie an der langen, gesichtslosen Mauer auf und ab fuhren, hatte Nobu sich daran zu erinnern versucht, wo der Kampf genau stattgefunden hatte. Dann hatte er den dunklen Boden und das zertrampelte Gras entdeckt.
Sie hatten Jubeis Leiche gefunden,
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