Die Tochter des Schmieds
bemerkt ihre Schwiegermutter erst, als diese das Wort an sie richtet.
– Du Ärmste, wie siehst du denn aus?
– Mir ist schlecht geworden.
– Geht es jetzt?
Gül nickt.
– Komm rein, wasch dich erst mal. Ich werde dir einen Minztee machen. Am besten legst du dich hin.
Nach zwei Gläsern Minztee geht es Gül etwas besser. Ihr Magen fühlt sich flau an, und ihre Glieder sind weich. Als sie versucht
aufzustehen, wird ihr schnell schwindelig, und ihre |247| Beine wollen ihr nicht gehorchen. Also legt sie sich wieder hin und döst weg.
Sie hört das Klopfen an der Haustür, sie hört das Kommen und Gehen der Gäste, doch die Geräusche dringen nur aus unbestimmter
Ferne an ihr Ohr, und manchmal scheinen die Klänge etwas Wichtiges zu symbolisieren, aber Gül kann die Bedeutungen nicht erfassen.
Als sie zu sich kommt, ist es früher Abend. Das erste Wort, das sich in ihrem Kopf formt, ist: Schokolade. Und sobald sie
an Schokolade denkt, wird ihr auch schon wieder schlecht. Also verscheucht sie dieses Wort und das Bild, den ganzen Gedanken.
Einige wenige Male wird sie noch Alkohol trinken in ihrem Leben, aber sie wird nie wieder Schokolade essen.
Ihre Schwiegermutter kommt ins Zimmer, als Gül gerade die Decke faltet, mit der Berrin sie zugedeckt hatte.
– Ich glaube, ich habe zu viel Schokolade gegessen, sagt Gül.
– Macht nichts, sagt Berrin. Mach dir keine Gedanken darüber. Was willst du mit der Strickjacke, wo willst du noch hin?
– Auf den Hof.
– Deine Schwester hat schon saubergemacht.
Gül wird rot.
– Oh … Der Herr möge es ihr vergelten.
Am nächsten Morgen schafft sie es bis zum Klo. Auch am übernächsten Morgen. Tagsüber geht es ihr gut, keine Schwindelanfälle,
keine Übelkeit. Nur wird sie manchmal von einer Sekunde auf die andere müde und will sich einfach nur noch hinlegen und schlafen.
Dann setzt sie sich kurz hin und schließt die Augen. Oft schreckt sie erst hoch, wenn ihr der Kopf wegknickt, weil die Spannung
aus ihrem Körper verschwindet. Schnell steht sie auf, ißt eine Walnuß mit etwas getrocknetem Traubensaft und arbeitet weiter.
– Es hört nicht mehr auf, erzählt sie Suzan. Ich habe Angst. Jetzt ist es fast schon eine Woche her, und mir wird immer noch
schlecht, jeden Morgen, den der Herr werden läßt.
|248| Suzan lächelt.
– Was ist? Du nimmst mich nicht ernst.
Suzan lächelt immer noch und schüttelt den Kopf.
– Suzan Abla, vielleicht bin ich krank, vielleicht habe ich Krebs oder so etwas.
– Nein, Kleines, du bist nicht krank. Du wirst schwanger sein. Wann hast du das letzte Mal deine Regel gehabt?
Gül zieht die Augenbrauen zusammen und sagt dann leise:
– Ich bin schwanger.
– Komm, laß dich umarmen.
– Möge der Herr mir ein gesundes Kind schenken.
Gül wartet noch zwei Wochen, in denen ihr nicht mehr jeden Morgen schlecht wird, dann ist sie sich sicher. Sie wird Mutter
werden. Sie wird fühlen, was ihre eigene Mutter gefühlt hat. Zwei Wochen, dann erzählt sie es allen, ihre Schwiegermutter
lächelt nur wissend und nimmt sie in den Arm. Sibel weiß nicht so recht, was sie mit dieser Nachricht anfangen soll, ebensowenig
wie Nalan und Emin. Timur bekommt glasige Augen und sieht weg, während Arzu sagt: Aha, jetzt wirst also auch du eine richtige
Frau.
Als Timur damals ihre Schwangerschaft bemerkte, war er nicht im geringsten gerührt.
Die meiste Zeit des Tages sitzt Zeliha auf einem Kissen, ein weiteres hat sie sich in den Rücken geschoben. Weiterhin verleiht
sie Geld und bringt die Schulden der vielen Gläubiger nicht durcheinander. Sie redet mit den Nachbarn, die sie besuchen kommen,
mit Freunden und Verwandten. Menschen, die nicht mehr weiterwissen, suchen sie auf. Frauen, deren Männer trinken und bei denen
es deswegen nicht genug zu essen gibt, Frauen, die wissen, daß ihre Söhne klauen, jung verheiratete, die sich oft mit ihrem
Mann streiten, Suzan kommt zu ihr, weil sie wissen will, ob Zeliha nicht jemanden kennt, der jemanden kennt, der ihrem Mann
behilflich sein könnte. Es kommen Menschen, die auf ihr Alter und ihre Erfahrung vertrauen. Vor allem auf ihr Alter. Und bei
den vielen |249| Besuchen bekommt die blinde Frau auch immer den neuesten Klatsch mit, ohne daß sie dafür auch nur aufstehen müßte. So ist
sie gut unterrichtet über die Ereignisse in ihrer kleinen Stadt, und es flößt den Menschen Vertrauen ein, daß sie immer weiß,
wer mit wem und warum. Warum der
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