Die Tochter des Schmieds
kleine Bülent seinem Vater nicht ähnlich sieht, warum Derviş heimlich trinkt, wo Derya ihren
Schmuck versteckt hat, wieso Begüm sauer auf ihre Schwester ist und wer Boras Hund getreten hat.
Sie bewegt sich kaum von dem warmen Ofen weg und kann mittlerweile nahezu jeden am Geräusch seiner Schritte erkennen. Doch
diesen Winter möchte sie noch mal mit allen zusammen in den Hamam gehen, sagt Arzu.
Vielleicht kommt es Gül nur so vor, die anderen klagen nicht, aber sie friert ständig, der Winter scheint noch kälter zu sein
als der letzte. Darum freut sie sich, endlich das Mark in ihren Knochen im Hamam wieder warm zu kriegen.
– Morgen gehen wir alle ins Dampfbad, meine Mutter, Großmutter, Sibel und Nalan. Möchtest du auch kommen? fragt Gül ihre Schwiegermutter.
– Wohin wollt ihr?
– Ins Dampfbad. Meine Oma hat es sich gewünscht.
Berrin scheint zu überlegen. Gül ist gerade damit beschäftigt, Linsen zu lesen, doch würde sie aufschauen, könnte sie den
Schatten auf dem Gesicht ihrer Schwiegermutter erkennen. Der Blick, der hart, fest und nachdenklich wird, die leichte Bewegung
des Kinns, wie sie den Kopf auf Seite legt, als würde sie sich mit etwas abfinden.
– Deine Großmutter?
– Ja, meine Großmutter wollte, daß wir alle zusammen gehen.
– Ich werde … Ich werde nicht mitkommen.
Berrin geht aus der Küche und murmelt unhörbar für Gül:
– Mit einer Schwangeren ins Dampfbad … boshaftes Weib.
Gül verbringt den nächsten Tag im Hamam. Es ist fast wie in alten Zeiten, nur ist es ohne Melike friedlicher, beinahe schon |250| langweilig. Emin wird nächstes Jahr eingeschult, er ist mittlerweile zu alt, um mit den Frauen mitzugehen.
Sibel guckt neugierig auf Güls Bauch, als sie nackt sind.
– Man kann es noch nicht sehen, sagt Gül.
– Was möchtest du denn, fragt Sibel, ein Mädchen oder einen Jungen?
– Ein Mädchen. Nein. Nein, nein. Lieber einen Jungen. Ich habe Fuat geschrieben, daß ich schwanger bin. Wenn er nächstes Mal
kommt, ist das Kind vielleicht schon da.
– Und wie soll er heißen?
– Wenn es ein Junge wird … soll er Timur heißen. Er wird bestimmt mal so groß und stark wie Papa.
– Ja, sieh dir nur Emin an. Und wenn es ein Mädchen wird?
– Ceyda. Wenn es ein Mädchen wird, soll es Ceyda heißen.
– Ceyda?
– So ähnlich hieß die Frau in einem Buch, das ich mal gelesen habe. Sie kommt ins Gerede, weil alle glauben, sie sei … sie
sei befleckt, weißt du? Sogar ihre Mutter glaubt es. Aber Ceyda weiß, daß sie rein ist, und grämt sich nicht.
– Ceyda. Dann werde ich Tante.
– Ja.
– Hast du Oma eben gehört?
– Was?
– Sie will schon gehen, sie hat gesagt, ihr sei es zu heiß, und sie hat gefragt, warum wir sie hierhergeschleppt haben. Und
Mama hat gesagt: Aber du wolltest doch, hast du das etwa vergessen? Und sie hat geantwortet: Ich bin vielleicht blind, aber
noch nicht vergeßlich.
Gül macht sich erst Jahre später einen Reim darauf.
Sie sind sehr lange im Dampfbad gewesen und wollen, bevor sie hinaus in die Kälte gehen, noch in aller Ruhe im Vorraum sitzen.
Die Tür wird aufgerissen, und Hülya, die nicht mitgekommen war, stürmt herein, läuft auf ihre Mutter zu, die sie an ihren
Schritten erkennt.
– Hülya?
|251| – Ja, Mutter. Mutter, Mutter, Yücel ist tot.
Yücels Name wird in dieser Familie kaum mehr erwähnt, seit Hülya und er sich getrennt haben. Onkel Yücel, der allein in einem
kleinen Haus am Rand der Stadt wohnte, schien weder zu Hülya noch zu dem Rest der Familie Kontakt zu haben. Es hat Gerüchte
gegeben, daß er zu seiner verheirateten Schwester ziehen wollte, es hat Gerüchte gegeben, er hätte sich mit Männern eingelassen,
die illegalen Geschäften nachgingen, es wurde gemunkelt, er würde trinken, er würde bald wieder heiraten, eine Schönheit aus
Fertek, einem Dorf ganz in der Nähe. Und jetzt ist er tot.
Zeliha bleibt völlig unbewegt sitzen.
– Woher weißt du das?
– Die ganze Stadt redet davon, sagt Hülya. Er hat sich rasieren lassen, und der Friseur dachte, er wäre eingeschlafen.
Hülya fängt an zu weinen. Soweit Gül weiß, hat sie die letzten Jahre kein Wort mit diesem Mann geredet.
– Beruhig dich, mein Kind, das ist der Lauf der Welt, die einen kommen, und die anderen gehen.
– Einfach so, schluchzt Hülya und sinkt ihrer Mutter zu Füßen. Gül sieht, daß sie ein Loch in der Schuhsohle hat. Einfach
so, beim Friseur entschlafen.
–
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