Die Tochter des Schmieds
Kupferbecken geschüttet, und während sie auf einem niedrigen Holzschemel
sitzend die Schlafanzüge und Laken wusch, hatte sie Gül erlaubt, auch ein wenig zu rubbeln.
Lange nachdem das Flüstern ihrer Eltern verklungen war, lag Gül noch wach. Ihr Herz schien immer noch genauso heftig zu klopfen
wie heute nachmittag auf dem Dach. Es drückte gegen ihre Brust und ließ sie nicht einschlafen.
Als Fatma eines Tages etwas in der Stadt zu erledigen hatte, ließ sie Gül und Melike bei ihrer Schwiegermutter. Während Melike
schlief, sprang Gül immer wieder vom Diwan. Sie kletterte an einer Seite hinauf, lief die ganze Länge des Diwans entlang und
sprang auf der anderen Seite runter.
– Wenn etwas kaputtgeht, kannst du etwas erleben, rief Zeliha mehr als einmal aus der Küche, wo sie gerade mit Hülya Weinblätter
wickelte.
Und bei ihrem sicherlich fünfzigsten Sprung vom Diwan nahm Gül übermütig zuviel Anlauf und landete in einer Schüssel voller
Hackfleisch, die sie vorher gar nicht bemerkt hatte. Sie hatte Angst vor ihrer Großmutter, sie wollte nichts erleben und rappelte
sich hoch, zog schnell ihre Schuhe an und lief hinaus. Im Dorf gab es ungefähr so viele Häuser wie hier in einer einzigen
Straße. Zumindest kam es ihr so vor. Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie sich verlaufen hatte. Es war Winter, sie fror,
und nach einer Viertelstunde blieb sie an einer Straßenecke stehen, vor lauter Angst und Kälte unfähig zu weinen. Ein großer
Mann mit grünen Augen und schwarzen Haaren sprach sie an:
– Hast du dich verlaufen, Kleines? Ich habe dich noch nie in dieser Gegend gesehen.
Gül nickte.
|46| – Soll ich dich heimbringen? Komm, wir ziehen dir erst mal diesen Pullover an. So … Wo wohnst du denn?
Gül zuckte mit den Schultern.
– Wessen Tochter bist du denn?
– Die Tochter des Schmieds.
– Gut, dann bring ich dich zum Schmied.
Und der junge Mann nahm Gül auf seine Schultern, und Gül genoß die Perspektive dort oben, und sie genoß das Gefühl, so lange
getragen zu werden und zuzuhören, wie er zwei Passanten nach dem Weg fragte. Schließlich klopfte der Mann an eine Tür, hob
Gül hinunter und wartete. Eine Frau öffnete, und im Hintergrund konnte man einen Mann und einige Kinder beim Abendessen sehen.
– Einen gesegneten Abend und guten Appetit, sagte der Mann und fuhr dann fort: Schmied, ich habe dir deine Tochter gebracht.
– Meine Tochter, sagte der Mann, der aufgestanden und zur Tür gekommen war. Geh, das ist nicht meine Tochter, ich habe schon
vier Mädchen, was ich möchte, ist ein Sohn. Nicht einen Sohn hat mir der Barmherzige geschenkt. Bleib mir weg mit noch einem
Mädchen.
– Oh, sagte der grünäugige Mann.
Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, fragte der Mann:
– Wie heißt denn dein Vater?
– Timur.
– Timur, nicht Tolga, du bist die Tochter des Schmieds Timur?
Gül nickte und sagte:
– Wir wohnen auf dem Dorf.
– Ich weiß, sagte der Mann. Keine Angst, ich werde dich zu deinem Vater bringen, wir müssen uns nur ein Pferd leihen.
Und so brachte der Mann, der Siebmacher war, wie sich später herausstellte, Gül heim ins Dorf zu ihren Eltern und übernachtete
dort notgedrungen, weil es dunkel geworden war und er nicht mehr zurückreiten konnte. Gül hatte gedacht, |47| ihre Mutter würde schimpfen, ihr Vater würde schreien, doch sie sagten beide nichts.
Nachdem der Siebmacher sich am nächsten Morgen zusammen mit dem Schmied auf den Weg in die Stadt gemacht hatte, nahm Fatma
Gül beiseite und gab ihr eine Ohrfeige.
– Nie, hörst du, nie wieder darfst du weglaufen, egal, was passiert. Und nie, niemals wieder darfst du mit fremden Männern
mitgehen. Sie können schlimme Dinge mit dir anstellen, sehr schlimme Dinge. Versprich mir, daß du nie wieder fortläufst. Versprich
mir das.
Und schon bekam Gül die zweite Ohrfeige, und sie sah die Tränen in den Augen ihrer Mutter. Da war etwas in Fatmas Gesicht,
das ihr Angst machte, größere Angst als die Stimme ihrer Großmutter. Fatma nahm Gül in den Arm, strich ihr über das Haar und
sagte:
– Mein Täubchen, nie wieder, versprochen?
– Versprochen.
Es war ein harter Winter, doch sie hatten immer genug Holz, sie hatten ausreichend Mehl, Weizengrütze und Bohnen, sie hatten
dicken Traubensirup, der Fäden zog, wenn man sein Brot hineintunkte. Es war ein ungewöhnlich harter Winter, und es gab Tage,
an denen der Schmied nicht zur
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