Die Tochter des Schmieds
Arbeit ritt, sondern zu Hause bei seiner schwangeren Frau blieb. Es war der erste Winter, in
dem Fatma und Timur ihr Bett vom ersten bis zum letzten Schnee hatten. Es gab Hochzeiten von Verwandten und Bekannten, doch
auf den tiefverschneiten Straßen konnte man kein Bett transportieren.
In der Schule ging das Holz aus, so kalt war es. Jeden Tag mußten zwei Kinder Scheite von zu Hause mit in die Schule bringen,
und dennoch wurde das Klassenzimmer nicht richtig warm. Fatma redete mit Timur, und der brachte eines Morgens so viel Holz,
wie sein Esel tragen konnte, zur Schule. Viele Kinder waren mittlerweile krank, und die Kinder aus den umliegenden Dörfern
blieben irgendwann daheim, weil die Wege zugeschneit waren, und als sehr bald auch |48| das Holz des Schmieds verbraucht war, schloß der Lehrer die Schule, bis der Schneekönigin schließlich die Zacken aus der Krone
brachen, bis es taute.
An einem sehr frühen Morgen, in den ersten Tagen des Tauwetters, wurde Sibel geboren. Gül war abends zu Bett gegangen, und
als sie aufwachte, hatte sie ein Schwesterchen, ein winziges rosiges Schwesterchen, so klein, daß sie glaubte, sie könne auch
ein Baby bekommen. So groß war der Bauch ihrer Mutter gewesen, und so klein war ihre Schwester. Sibel.
Melike warf nur einen kurzen Blick auf den Neuankömmling, es schien sie nicht weiter zu interessieren. Viel mehr interessierte
sie, wann es endlich Frühstück gab und was für Durcheinander im Haus herrschte. Menschen kamen und gingen, es gab Glückwünsche
und kleine Geschenke, und Timur sagte immer wieder: Die Hände und Füße sind an den richtigen Stellen, dem Herrn seis gedankt.
Die Freunde und Nachbarn ließen gute Wünsche regnen: Möge es gesund aufwachsen, möge es mit Vater und Mutter groß werden,
möge ihm ein langes, zufriedenes Leben beschieden sein.
Als Sibel vierzig Tage alt war, war der Schnee geschmolzen, die Bäche und Flüsse waren über die Ufer getreten, die Sonne wärmte
bereits, und manchmal saß Timur vor seinem Haus und schloß die Augen, rieb seinen Nacken kurz an dem Kragen seiner Jacke,
hielt den Kopf dann still und genoß die Wärme auf seinem Gesicht. Und bald sangen die Vögel, die Knospen sprossen, er hatte
noch eine Tochter, die den Namen einer Fruchtbarkeitsgöttin trug, das Leben wurde immer größer und hatte keine Ufer, über
die es treten konnte wie die Flüsse. Es wuchs einfach, es wuchs wie seine Kinder, und an einem dieser Tage würde mit dem Leben
auch sein Herz so groß werden, daß alle Platz haben würden darin, seine Freunde wie seine Feinde, ja sogar Tufan, der ihn
bei den Gendarmen verpfiffen hatte, würde einen Platz haben.
Nur in den letzten Tagen fühlte er sich ein wenig kraftlos, als sei eine Grippe im Anzug. Den ganzen Winter über hatte |49| er nicht mal den kleinsten Schnupfen gehabt, er konnte sich nicht erklären, wieso er sich jetzt schwach und abgespannt fühlte,
und es wurde mit jedem Morgen schlimmer statt besser. Eines Tages schmerzten seine Glieder so sehr, daß an Arbeit nicht zu
denken war. Selbst die Kleidung verursachte ihm Schmerzen auf der Haut, also verließ er die Schmiede, kurz nachdem er gekommen
war, trank einen Tee im Teehaus und ging danach ins Dampfbad, um die Krankheit auszuschwitzen.
Am nächsten Morgen konnte er kaum mehr aufstehen, er schleppte sich zwar zur Schmiede, aber dann saß er den ganzen Tag nur
benommen im Teehaus.
– Du siehst gar nicht gut aus die letzten Tage, sagte Fatma abends.
– Ich glaube, ich werde krank, sagte der Schmied.
Fatma fühlte seine Stirn.
– Ich werde dir eine Brühe machen, du hast etwas Fieber, und heute nacht packen wir dich dick ein, und du schwitzt es einfach
aus.
Timur verschwieg, daß er im Dampfbad gewesen war, aber nachts schwitzte er tatsächlich wieder. Fatma gab ihm einen frischen
Schlafanzug, und als er sich umzog, sah sie im Schein der Petroleumlampe die rötlichen Flecken auf seiner Brust und seinem
Rücken.
– Timur, sagte sie, damit solltest du zum Arzt, das sieht nicht aus wie eine Erkältung.
Timur blickte an sich herunter, und auch er sah die Flecken, wenn auch lange nicht so deutlich wie Fatma. Er war völlig benommen,
es schien ihm, als könne er alles nur noch durch einen Nebel sehen, der einfach nicht verschwinden wollte, so sehr er auch
den Kopf schüttelte oder sich die Augen rieb. Doch er sagte:
– Ach was, was soll ich beim Arzt, du wirst sehen, in zwei Tagen bin
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