Die Tochter des Schmieds
ich wieder gesund.
Zwei Tage später war sein Fieber noch weiter gestiegen, er hatte nicht mehr die Kraft aufzustehen, und in den seltenen |50| klaren Augenblicken horchte er auf sein Herz. Das schien nur noch ganz langsam zu schlagen. Mit jedem Tag wurde sein Fieber
ein bißchen stärker, und allein das Rasseln seiner Lunge reichte, um Fatma zu ängstigen. Durch einen Bauern, der in der Stadt
zu tun hatte, ließ sie ihrer Schwiegermutter ausrichten, wie es um ihren Sohn bestellt war. Und sie verschwieg auch nicht,
daß sie sich selber mittlerweile krank fühlte und befürchtete, bald nicht mehr nach Timur und den Kindern sehen zu können.
Zeliha ließ schon am nächsten Tag die ganze Familie mit einem Lastwagen aus dem Dorf in die Stadt bringen. Timur war so schwach,
daß der Fahrer ihm ins Führerhaus hochhelfen mußte.
Seit über einer Woche hatte er nun ununterbrochen Fieber, und jetzt kam auch noch Durchfall hinzu, seine Haut war gelblich
verfärbt und schien auf den Wangenknochen zu spannen, seine Schultern fielen müde nach vorne, er konnte nicht mehr aufrecht
stehen, und in seinen Augen war ein Glitzern, ein irres, wenn auch müdes Glitzern.
Melike und Gül hatten ihn nur im Bett liegend gesehen, und jetzt wurden sie beide still, als sie den Mann anblickten, von
dem sie wußten, daß er sie mühelos beide gleichzeitig tragen konnte.
Den ganzen Weg in die Stadt wurde kein Wort gesprochen. Die einzigen Geräusche waren das Brummen des Lastwagens, das Anreißen
der Streichhölzer und die tiefen Lungenzüge des Fahrers. Fatma war schwindelig und schlecht, und einige Male war sie versucht,
nach einem kurzen Halt zu fragen, doch dann schien sich ihr Magen wieder zu beruhigen, und die Übelkeit wurde erträglich.
– Typhus, sagte der Arzt, ich gehe davon aus, daß es Typhus ist. Sie fühlen sich auch krank? fragte er Fatma, die als Antwort
nur langsam nickte.
– Es ist eine ansteckende Krankheit. Sie kommen vom Dorf?
|51| – Ja.
– Haben Sie ein Klo? Oder machen Sie in die Sträucher? Typhus wird durch Darmbakterien übertragen.
– Wir haben ein Klo, ja. Das einzige im Dorf … Ist es gefährlich?
– Es ist nicht ungefährlich, sagte der Arzt. Bringen Sie Ihre Kinder weg, sieht ja nicht so aus, als hätten die sich angesteckt.
Es ist fast schon das Endstadium der Krankheit, in ein paar Tagen wird Ihr Mann wohl über den Berg sein, er hat eine robuste
Natur, machen Sie sich keine Sorgen.
Zeliha saß am Kopfende des Bettes und betupfte die fiebrig glänzende Stirn ihres Sohnes. Als der Arzt seine Tasche gepackt
hatte und gegangen war, sagte sie zu Fatma:
– Bring die Kinder zu Hülya, dort werden sie gut aufgehoben sein.
Hülya hatte im letzten Frühling einen Gefängniswärter geheiratet, war aber immer noch nicht schwanger. Als Fatma mit ihren
Töchtern in der Kutsche saß, mußte sie den Kutscher bitten, anzuhalten. Sie stieg aus und erbrach sich am Straßenrand. Der
Kutscher gab ihr einen Schluck Wasser, nachdem sie sich mit ihrem Taschentuch abgewischt hatte. Melike und Gül saßen in der
Kutsche und sahen schweigend zu. Ihre kleine Schwester lag zwischen ihnen und schlief.
– Bist du auch krank? Tut es weh?
Gül wollte, daß Fatma ihr sagte, daß sie keine Angst zu haben brauchte, daß alles gut werden würde. Sie verstand nicht, was
gerade geschah, und sie wollte, daß ihre Mutter die Welt mit ihren Worten kleiner machte, in Stücke riß, die ihr nicht so
bedrohlich vorkamen, Stücke, die sie begreifen konnte.
– Nein, mein Schatz, es tut nicht weh. Ich glaube, ich werde krank, aber es ist nichts Schlimmes.
– Fahren wir zu Tante Hülya?
– Ja, ich bringe euch zu Tante Hülya und Onkel Yücel. Ihr bleibt einfach ein paar Tage dort. Und seid brav, ja? Paß auf deine
Schwestern auf, Gül. Wir werden euch bald abholen, und dann werden wir wieder alle zusammen ins Dorf fahren. |52| Dein Vater ist krank, aber hier in der Stadt gibt es Ärzte. Wir werden gesund, und dann fahren wir zurück ins Dorf.
Hülya empfing sie sehr herzlich, sie küßte ihre Schwägerin und die Mädchen, sie kochte Tee, bot Gebäck an, doch Fatma wollte
nicht bleiben.
– Ich muß zurück, sagte sie, ich muß bei Timur sein. Paß bitte gut auf die Kinder auf. Hab zwei Augen auf sie, damit ich mich
nicht umblicken muß.
– Mach dir keine Sorgen.
Fatma küßte Gül und Melike, und gerade als sie Sibel küssen wollte, fing die an zu schreien, und Fatma sagte:
–
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