Die Tochter des Schmieds
geben.
Timur sieht in den Himmel und stellt fest:
– Wir schaffen es nicht mehr, vor Einbruch der Nacht heimzukommen. In der Dunkelheit ist es zu gefährlich, zu reiten, es ist
besser, wir bleiben hier.
Möglicherweise erinnert er sich daran, wie er früher mit seiner Frau auf Friedhöfen übernachtet hat.
– Kennst du Tante Filiz noch, die, von der wir immer Tarhana gekauft haben?
Gül schüttelt den Kopf, was ihr Vater, der vorneweg geht, nicht sehen kann. Aber er scheint auch keine Antwort erwartet zu
haben.
Schon bald sind sie an Tante Filiz’ Haus am Rande des Dorfes. Filiz ist eine dicke, fröhliche Frau, die Gül herzlich an ihren
Busen drückt. Gül mag ihren schweren Geruch nach Schweiß und Erde und noch etwas, das ihr fremd ist.
Zum Abendessen, das sie, ohne viel zu sprechen, im Schein der Lampe einnehmen, gibt es weiße Bohnen, Weizengrütze und Dorfbrot.
Gül ist erstaunt, daß hier die gleiche Druckluftlampe steht wie die, die sie zu Hause haben, eine, die heller strahlt als
die normalen Petroleumlampen und die sonst niemand hat.
– Ich werde dir eine Matratze aufs Dach legen, sagt Filiz zu Timur, und die Kleine kann bei mir im Bett schlafen.
|133| Timur nickt. Natürlich kann er nicht mit einer Witwe unter dem gleichen Flachdach übernachten.
Kurz nachdem sich Gül ins Bett gelegt hat, kommt auch Filiz, legt einen Arm um sie und wünscht ihr gute Nacht. Gül kann ihren
warmen Atem in ihrem Nacken spüren, die Weichheit ihrer Brust an ihrem Rücken fühlen. Sie ist müde und erschöpft und glücklich.
Es war ein schöner Tag, sie saß auf dem Esel und war mit ihrem Vater unterwegs, sie hat nur zehn Minuten gebraucht, bis der
Kekskindakzent verschwunden war, sie hat mit Kezban in den Feldern gespielt, in diesen endlosen Feldern, sie hat Bohnen gegessen
und hartes Dorfbrot, sie kann Tante Filiz’ Duft einatmen, und kurz darauf ist sie auch schon eingeschlafen. Als sie nachts
aufwacht, ist Tante Filiz nicht da. Sie dreht sich um und schläft weiter.
Auf dem Heimweg am nächsten Tag sagt Timur mit einem behaglichen Seufzer:
– Da werden wir in der Stadt gute Geschäfte machen.
Gül freut sich, ihren Vater so zufrieden zu sehen.
Schon bald wird jemand anders Tufans Stelle einnehmen. Die Zeiten haben sich geändert, es ist mehr Geld ins Dorf gekommen,
die Ansprüche der Bauern sind gestiegen, und sie möchten nicht mehr lange auf einen Zwischenhändler warten, und so werden
sie bald an Tufans Neffen verkaufen statt an den Schmied.
Es kommt den Kindern immer vor wie ein Festtag, wenn sie alle zusammen ins Dampfbad gehen, Gül, Melike, Sibel, Nalan, ihre
Mutter, ihre Großmutter, Tante Hülya und die eine oder andere Nachbarin mitsamt ihren Kindern. In diesem Winter nehmen sie
auch den kleinen Emin mit. Morgens packen sie einen großen Korb mit Brot, Käse, Oliven, Börek, Seife, Waschlappen, Bürsten
und frischer Wäsche.
– Warum könnt ihr Frauen euch im Hamam nicht einfach waschen wie alle anderen auch? fragt Timur.
– Wenn wir gehen, dann richtig, antwortet Arzu. Was sollen wir in zwei Stunden schon fertig sein?
|134| Sie gehen am frühen Morgen und bleiben bis zum späten Nachmittag, die Erwachsenen sitzen ab und zu im Vorraum, der nicht ganz
so heiß ist, oder ruhen sich in der Eingangshalle aus, essen etwas, klönen, lachen, tratschen, stecken zu zweit oder dritt
die Köpfe zusammen und tuscheln. Wenn Gül oder sonst jemand in ihre Nähe kommt, verstummen sie oft ganz plötzlich.
Es ist jedesmal eine Freude, die Kinder rennen nackt herum und bespritzen sich gegenseitig mit kaltem Wasser, lösen die Seife
auf oder flitschen sie über den Fußboden, kreischen, lachen und hören zu, wie es von der gewölbten Decke zurückschallt. Manchmal
betrachtet Gül die Brüste der Frauen oder den ausladenden Hintern ihrer Tante und das unwahrscheinlich buschige Dreieck aus
Haaren, das ihre Großmutter zwischen den Beinen hat.
Am Anfang war sie auch davon fasziniert, ihren Bruder nackt zu sehen. Daran hat sie sich längst gewöhnt, weil sie ihn oft
wickeln muß. Häufig muß sie auch die Windeln waschen, doch das macht ihr kaum etwas aus. Sie mag den kleinen Mann mit den
blauen Augen und den winzigen Händen. Sie nimmt ihn gern auf den Arm, versucht ihn zu beruhigen, wenn er weint, sie schaukelt
ihn auf den Füßen in den Schlaf und denkt dabei an Onkel Yücel, über den nie geredet wird.
Sie mag Emin, aber manchmal wird sie auch
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