Die Tochter des Schmieds
eifersüchtig, wenn sie sieht, wie sich ihr Vater um ihn kümmert. Ihr Vater, der
sogar aufgehört hat zu rauchen, weil der Herr ihm einen Sohn geschenkt hat.
Alle wissen, daß Zelihas Augen immer schlechter werden. Gül fällt auf, wie ihre Mutter sie manchmal führt, wie ihre Großmutter
die Seife nicht findet, die direkt vor ihr liegt, und sie weiß, daß ihre Großmutter sie manchmal dann erst erkennt, wenn sie
den Mund aufmacht.
Als sie gerade in der Nähe ihrer Großmutter spielen, sagt Sibel, die zwar im Sommer viel getrockneten Traubensaft gegessen,
aber nicht zugenommen hat:
– Sie kann uns gar nicht mehr auseinanderhalten.
|135| Genau in dem Moment kippt Melike ihr eine Schüssel kaltes Wasser über den Kopf. Sibel schreit nur ganz kurz auf, dann hält
sie den Mund und tut einfach so, als sei nichts geschehen. Das macht sie in letzter Zeit oft, damit Melike sie nicht weiter
ärgert. Gül kommt auf eine Idee, von der sie später sagen wird, daß der Teufel sie ihr eingegeben hat, anders kann sie es
sich nicht erklären. Sie hört die dunkle Stimme ihrer Großmutter, die Stimme, die behauptet hat, Gül hätte den getrockneten
Traubensaft geklaut.
Gül füllt eine der Schüsseln mit kaltem Wasser und schleicht sich von hinten an ihre Großmutter an, die allein am Rand des
marmornen kreisförmigen Liegeplatzes in der Mitte des Bades sitzt. Gül klettert auf den Marmorstein, unter dem sich der Heizkessel
befindet, und kippt dann ihrer Oma von hinten die Schüssel mit dem kalten Wasser über den Kopf. Im Weglaufen hört sie das
Geschrei.
Durch den Lärm aufmerksam geworden, stehen die Frauen bald alle um Zeliha herum. Gül sitzt völlig unschuldig an einem der
Wasserbecken und plätschert ein wenig darin herum. Aber ihr Herz klopft schnell, und sie glaubt, alle könnten ihr ansehen,
daß sie es gewesen ist. Wie konnte sie sich das trauen?
– Wer war das? will Zeliha wissen. Wer von euch ungezogenen Gören hat mich mit kaltem Wasser übergossen? Ruft die verdammten
Kinder.
Alle Kinder müssen zusammenkommen und sich vor der alten Frau aufstellen. Gül kann nur auf den Boden schauen, aber das scheint
niemandem aufzufallen. Sie stehen da in einer Reihe, Gül ganz links, daneben Sibel, neben ihr Melike, rechts die kleine Nalan
und neben ihr noch die beiden Töchter einer Nachbarin.
– Wer hat sie mit Wasser übergossen? fragt Arzu, und niemand antwortet.
– Melike, sagt Arzu nach einer Pause, und es klingt nicht wie eine Frage.
– Ich war es nicht.
– Komm her, befielt ihre Mutter, und Melike tritt vor.
|136| – Du warst es, nicht wahr? sagt ihre Großmutter.
– Nein, sagt Melike, ich war es nicht.
– Lüg nicht, sagt ihre Mutter, wer lügt, der wird von Gott bestraft.
– Wenn du lügst, trifft dich der Blitz, sagt Zeliha.
Melike steht jetzt einen halben Schritt vor ihrer Großmutter, die immer noch auf dem Marmorstein sitzt. Ihr Badeschurz ist
verrutscht und läßt eine schwere, hängende Brust sehen. Ehe Melike, die mit guten Gewissen dort steht, reagieren kann, streifen
die Finger ihrer Großmutter ihre Wange. Sie hat Glück, daß Zeliha so schlecht sieht, sonst hätte sie eine Ohrfeige bekommen,
die laut von den Wänden widergehallt wäre. Melike tritt einen Schritt zurück. Weglaufen hat hier keinen Sinn, wo soll sie
schon hin.
– Ich wars, sagt Gül, ich habs getan.
Melike entspannt sich sichtlich. Sie entspannt sich und sieht nicht die Hand ihrer Mutter. Jetzt hallt es von den Wänden.
– Siehst du, sagt ihre Mutter, nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester. Sie ist bereit, sich für dich zu opfern.
– Ich wars wirklich, sagt Gül, und ihre Stimme überschlägt sich.
Auch die zweite Ohrfeige sitzt. Melike dreht sich um und läuft in die Vorhalle. Ihre Mutter will hinterher, aber Gül hält
sie am Arm fest und sagt:
– Ich wars, ich wars wirklich, ich schwöre bei Gott.
– Sündige nicht, indem du falschen Eid leistest, sagt ihre Großmutter, und ihre Mutter schüttelt die Hand ab und läuft Melike
hinterher. Die ist mittlerweile in der Eingangshalle, direkt bei der Tür.
– Wenn du näher kommst, laufe ich raus, ruft sie ihrer Mutter zu.
Arzu verlangsamt ihren Schritt.
– Es ist kalt draußen, es liegt Schnee. Du wirst dir den Tod holen.
– Ich laufe raus, sagt Melike, wenn du näher kommst, laufe ich raus.
|137| Arzu bleibt stehen.
– Ich werde deinem Vater heute abend erzählen, was du getan hast.
– Ich war es
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