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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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näher, dann, als sie über die Schwelle ist, läuft sie die letzten Schritte bis zu ihrem Vater und legt
     ihren Kopf an seinen Bauch. Er streicht ihr übers Haar.
    – Es reicht, wenn du es wünschst, verstehst du? Es ist ausreichend, daß du mir sagst, was du willst. Dann mache ich alles,
     was mir meine Hände und mein Mund ermöglichen, meine Rose.
    Sie würde sich wünschen, weniger im Haushalt helfen zu müssen, doch dann müßten ihre Schwestern mehr tun. Sie würde sich wünschen,
     daß Melike etwas braver ist, sie würde sich wünschen, daß ihre Mutter sie auch mal
meine Rose
nennt oder
Liebes
oder
Schatz
, sie würde sich wünschen, im Winter warm zu schlafen, sie würde sich wünschen, daß ihr Vater nicht mit ihrer Mutter streitet.
     Sie weiß nicht, worüber sich ihre Eltern streiten, sie merkt nur, daß sie gestritten haben, weil ihr Vater dann tagelang kein
     Wort mehr mit ihrer Mutter redet. Wie in den beiden Wochen, nachdem Gül die Nase gebrochen hatte.
    Am nächsten Morgen fragt Timur Gül beim Frühstück:
    – Möchtest du mitkommen? Ich habe Geschäfte zu erledigen auf dem Dorf. Du kannst ein wenig mit deinen alten Freunden spielen,
     und ich hole noch etwas ab.
    Er zwinkert ihr zu.
    – Und dann reiten wir gemeinsam heim.
    – Sie muß noch –, fängt ihre Mutter an, doch Timur unterbricht sie:
    – Sie muß heute gar nichts.
    So sitzt Gül etwas später auf dem Esel, ihr Vater reitet auf dem Pferd, und lange vor der Mittagshitze kommen sie im Dorf
     an. Gül ist ganz aufgeregt, sie ist so lange nicht mehr hiergewesen, aber es scheint sich nichts verändert zu haben. Sie springt
     ab und läuft in die Straße, in der sie früher gewohnt haben, und ihr Vater ruft ihr hinterher:
    – Ich hole dich am Nachmittag am Dorfplatz ab, in Ornung?
    Als ihre Freundinnen Gül erkennen, ist die Freude groß, doch schon bald sagt eins der Mädchen:
    |131| – Du redest ja wie ein Kekskind.
    Gül verstummt sofort. Kekskinder, das sind die Kinder der Reichen aus der Stadt, das sind Kinder, die kein trockenes Brot
     essen, das sind Kinder, die verweichlicht sind, die zerbröckeln, wie ein Keks, den man in Milch tunkt.
    Zehn Minuten lang kommt kein weiteres Wort über Güls Lippen, beim Seilspringen muß sie den Mund nicht aufmachen.
    Als sie das nächste Mal etwas sagt, redet sie so ähnlich wie alle anderen. Zuerst kommen ihr die Worte aus ihrem eigenen Mund
     fremd vor, aber sehr bald hat sie sich daran gewöhnt. Und wenn ihr doch ein Kekskindwort rausrutscht, scheint es niemand zu
     bemerken.
    – Ist Recep noch da? fragt sie Kezban, eine ihrer früheren Freundinnen, die sie besonders gern mochte. Kezban ist ein dickliches
     Mädchen, das zwei, drei Jahre älter ist. Sie kichert.
    – Willst du mit den Jungen spielen? fragt sie.
    Das haben wir doch immer getan, hätte Gül gern geantwortet, aber Kezbans Tonfall bringt sie dazu, den Kopf zu schütteln.
    – Er ist bei seiner Tante, sagt Kezban nun, er wird wahrscheinlich erst nach dem Sommer zurückkommen. Seine Tante brauchte
     jemanden, der die Kühe hütet.
    Gül nickt und fragt sich, ob Recep sich wohl wie ihr Vater mit den Kühen anfreundet.
    Mittags nimmt Kezban Gül mit zu sich heim zum Essen, und den Nachmittag über spielen sie in den Feldern.
    Erst als es schon kühler wird, merkt Gül, daß sie die Zeit vergessen hat. Wie an dem Tag, als sie auf dem Felsen saß und sich
     die Hände gefärbt hat, wie an dem Tag, an dem ihr Vater das Wasser heimgebracht hat. Wie immer, wenn sie glücklich ist. Hoffentlich
     wartet ihr Vater nicht schon. Doch als Gül und Kezban etwas später atemlos auf dem Dorfplatz ankommen, ist vom Schmied noch
     nichts zu sehen.
    Es dämmert bereits, als Timur schließlich kommt. Er geht zu |132| Fuß und hält die Zügel seines Pferdes in der Hand. Die Zügel des Esels hat er am Sattel des Pferdes festgemacht. Die Doppeltasche
     aus Kelimstoff, die man den Eseln überwirft, ist prall gefüllt. Gül verabschiedet sich, und ihr Vater hebt sie auf den Rücken
     des Esels. Erst als sie am Rand des Dorfes sind, sagt er:
    – Hast du es auch schon gehört? Tufan ist tot. Ich konnte ein paar Geschäfte machen. Sein Herz hat einfach aufgehört zu schlagen,
     vor einer Woche. Er war zerfressen, ich sags dir, er war zerfressen vor Geldgier.
    In den folgenden Jahren wird der Schmied jemandem, den er verfluchen will, nicht die Pest an den Hals wünschen, Krebs, Tod,
     Gebrechen oder Armut, er wird sagen:
    – Möge der Herr dir Geldgier

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