Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick

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streckte es wieder, um sie hochzuziehen. Er war ein vergeistigter hagerer Typ und hatte spindeldürre Schenkel wie eine Vogelscheuche. Sitzend stieß er mit dem Kopf fast gegen die Decke. Stehend mußte er sich vornüberbeugen.
    Die Türe klapperte in ihrem Rahmen, dann hämmerten Fäuste ärgerlich dagegen. »Das könnte sie sein. Schieb den Riegel zurück, ja?«
    Ehe Billy jedoch die Hand zur Tür ausstrecken konnte, wurde der Riegel aufgeschoben. Monkey kletterte hindurch. Ohne zu überlegen packte er sie unter den Armen, schwang sie wie eine Puppe herum und stellte sie auf ihren Schreibtisch. Sie stand dort, und ihr Gesicht wurde dunkel wie eine Kaminkohle. Billy begrüßte sie mit einem Grinsen, das die Zahnstümpfe zeigte und wodurch sich beide Mundwinkel kräuselten. Wenn er am liebenswürdigsten war, so wie jetzt, wirkte er am lächerlichsten. Monkey sah düster an ihm vorbei zu Jane.
    »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, mich aus meinem eigenen verdammten Zimmer auszuschließen?«
    Die Vorzeichen in dem Objektträger waren nicht gut. Dann wiederum waren Omen im Zehent-Jahr niemals gut. Wenn man eine Probe in einem Spektrophotometer untersuchte - abgeschnittenes Haar, Urin, abgekratzte Hornschnipsel, irgend etwas -, zeigte das resultierende Spektrum unausweichlich einen dicken schwarzen Balken, der das Herannahen des Zehent markierte. Selbst wenn man das große Aussieben selbst überlebte, so war die Wahrscheinlichkeit doch groß, daß man jemanden verlor, der einem sehr nahestand. »Ich habe einen Objektträger präpariert«, brummte sie zerstreut. Billy schloß seinen Gürtel und knöpfte sich hastig das Hemd zu. »Konnte nicht zulassen, daß du mittendrin reinplatzt, oder?« Eigentlich sollte sie esoterische Techniken nicht in Zusammenhang mit intermediärer Wahrsagerei anwenden, aber sie ersparte sich dadurch zahllose Stunden, während derer sie sonst in ein Tintenfaß gestarrt oder über den Eingeweiden von Ziegen gegrübelt hätte.
    »Du bist seit kurzem eine ganz gewaltige Streberin geworden, Miß Ich-tu-was-ich-will Alderberry.« Monkey hüpfte vom Tisch herab. »Ich erinnere mich nicht, dir die Erlaubnis gegeben zu haben, mein Zimmer für irgendwelche verdammten privaten Treffen zu benutzen.«
    »Äh, also, ich muß jetzt los, bin schon spät dran. Muß ins Seminar.« Billy bündelte Schuhe und Socken unter einem Arm. Er senkte ungeschickt den Kopf und ging rückwärts aus dem Zimmer, wie ein Blatt vor dem Sturm. »Tschüs!«
    Das Geheimnis erfolgreichen Wahrsagens bestand in der Erkenntnis, daß die Zukunft nicht feststand und daß es keine Möglichkeit gab, sie vorherzusagen. Keine. Man konnte lediglich herausfinden, was bereits uneingestanden existierte. Liebende versprachen sich einander lange vor dem ersten Kuß. Mord war in Freundschaft inbegriffen. Ein Karzinom, das im Röntgenbild wie ein Staubfleck aussah, verhieß Tod. Vieles von dem, was wie ein zufälliges Ereignis erschien, war einfach ein Herausarbeiten von Konsequenzen. Jane kritzelte ihre Beobachtungen in ihrem Laborjournal nieder.
    Monkey riß ihr den Bleistift aus der Hand und zerbrach ihn.
    Jane schloß die Augen und folgte mit dem inneren Blick dem Siegel von Baphomet. Als sie sich wieder beruhigt hatte, zog sie eine Schublade auf.
    »Also gut.« In der Lade befand sich ein Paar Latex-Handschuhe. »Ich hab das nicht gewollt.« Sie streifte sie über. »Aber du hast mir ja keine andere Wahl gelassen, stimmt’s?«
    Ehre, wem Ehre gebührt: Monkey gab nicht klein bei. In ihrem Erbgut war etwas von einem Gauner, und das Gauner-Gen war ein dominantes Gen. Sie leckte sich nervös die Lippen, als Jane vorgab, eine unsichtbare Schachtel aus der Schublade zu heben. »Du machst mir keine Angst.«
    »Schön.« Jane schlug einen Deckel hoch und griff in die Schachtel. »Es funktioniert am besten, wenn du nicht daran glaubst.« Sie holte ein gleichermaßen imaginäres Skalpell heraus und hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger hoch, wobei sie es bewundernd einmal so, einmal so drehte.
    »Was wirst du damit tun?«
    Jane lächelte. » Das! «
    Sie hieb Monkey die Faust in den Magen. Der kleine Kobold krümmte sich vor Schmerz. Dann war Jane über ihr, achtete nicht auf ihr Gekreisch und drückte sie auf den Fußboden. Sie riß Monkey die Bluse über den Kopf und holte aus einer Tasche eine kleine Blase heraus, die sie eigens für diese Gelegenheit vorbereitet hatte. »Ein wenig höher«, sagte sie und stach mit einem steifen Zeigefinger