Die Tochter des stählernen Drachen
in den entblößten Unterleib. »Da!«
Sie zerdrückte die Blase.
Blut spritzte. Ein dunkler karminroter Fleck breitete sich über Monkeys Schritt und Bauch aus. Jane trat zurück, in der Hand die zerrissene Blase. Sie sah aus wie ein Hautfetzen. Sie steckte sie in den Mund, als Monkey mühsam aufstand und sich dabei die Bluse herabzog. Jane kaute und schluckte die Blase hinab.
Es war erledigt.
Daraufhin legte Jane rasch und sicher das Skalpell in die Schachtel und stellte beides in die Schublade und damit in die Vergessenheit zurück. Sie streifte sich die Handschuhe ab und warf sie in den Papierkorb. Sie war fertig. Sie lehnte sich an ihren Schreibtisch und wartete, ob ihre Zimmergenossin begriffen hätte.
Monkey stand wieder auf beiden Beinen. »Was zum Teufel hast du da gerade getan?«
»Hoffentlich habe ich mir ein wenig Ruhe und Frieden erkauft.«
»Du hältst mich nicht zum Narren - das war lediglich ein Taschenspielertrick.«
»Glaube, was du willst.«
Monkey hob einen schweren Hefter hoch und näherte sich ihr damit.
»Es gibt nur einen Weg, es herauszufinden.«
Monkey kaute unentschlossen auf der Lippe. Dann schleuderte sie den Hefter angewidert zu Boden und warf sich auf einen Stuhl. »Scheiße.« Vor Wut bestand sie nur noch aus Fäusten und Augen. Dann wich plötzlich jegliche Anspannung aus ihrem Körper. Sie kicherte. Mit gequälter Beiläufigkeit sagte sie: »Ich hab heute einen alten Freund von dir getroffen.«
»Nun ja«, sagte Jane, »so was nenne ich einen klassischen Fehlschuß.« Während sie sich einen Blutfleck vom Kinn rieb, kehrte sie zu ihrem Mikroskop zurück. Aber obgleich sie es mit aller Gewalt versuchte, konnte sie Monkeys Bemerkung nicht verdrängen. Sie nagte in ihr. Schließlich seufzte sie und fügte hinzu: »Wer war es?«
»Ich weiß es, und du mußt’s rausfinden.«
Monkeys Stimme war schadenfroh, spöttisch, triumphierend. Sie ließ Jane nicht aus den Augen, während sie einen Zipfel ihrer blutgetränkten Bluse hob und daran saugte.
Jane verbrachte eine lange Stunde damit, den Durchschlag anzustarren, ehe sie sich ans Lesen machte. Das gelbe Papier verblaßte bereits an den Falzstellen. Schlechte Nachrichten kamen stets auf billigem Papier und in grauer Druckschrift. Die Namen und Stichworte waren stets mit einem Farbband der dritten Generation in Großbuchstaben getippt und schwebten ein wenig über der Linie. Sie hatte das Ding etliche Male gelesen und immer wieder gelesen, seitdem sie es gestern erhalten hatte.
An: Magister/Mistreß ALDERBERRY
Von: Büro für Buße und Wahrheit, Zuweisung finanzieller Unterstützungen
In diesen Zeiten steuerlicher Mindereinnahmen sehen wir uns leider gezwungen, Ausgaben zu reduzieren oder zu kappen, soweit dies keine nachteiligen Auswirkungen auf die Qualität Ihrer Ausbildung mit sich bringt. Daher werden wir, als Beitrag zur Kostendämpfung, die Zahlung jener Zuschüsse zu Ihrem Stipendium einstellen, die von diesem Büro aufgebracht werden. Wir wissen, daß Sie mit uns einer Meinung sind, wenn wir der Universität eine rasche Erholung von ihrer zeitweiligen finanziellen Zwangslage wünschen, und ermutigen Sie nachdrücklich, die unzähligen Wege zu erforschen, die Ihnen offenstehen, Ihre Ausbildung über den privaten Bereich zu finanzieren. Eine Liste Ihrer Verbindlichkeiten wird Ihnen binnen DREI WOCHEN zugestellt.
Janes Ärger war längst abgeflaut. Sie las die Mitteilung nur, weil sie ihre Gewalt ins Leere laufen lassen wollte, weil sie die letzten Spuren von Emotionalität aus sich heraustreiben und sicherstellen wollte, daß sie das, was sie zu tun hatte, ruhig und bedächtig täte. Dann war es an der Zeit.
Die Universitätsbibliothek öffnete ihre Pforten um Mitternacht und schloß sie im Morgengrauen. Die rationale Erklärung für solch außergewöhnliche Öffnungszeiten lautete, daß sie Dilettanten und Müßiggänger davon abhielten, die Einrichtungen der Bibliothek zu mißbrauchen. Jane hatte den Verdacht, daß dunklere Motive entscheidend waren, aber diesmal war sie einfach froh über die Ungestörtheit in den leeren Korridoren und hallenden Räumen. Über Seitengänge und Eisenwendeltreppen folgte sie einem labyrinthhaften Pfad zu den geheimnisvolleren Bereichen des gesammelten Wissens.
Um das meiste aus der begrenzten Bodenfläche herauszuholen, waren die älteren Magazine mit elektrischen Bücherregalen ausgestattet. Nur eines von zehn Paaren hatte einen Gang zwischen sich; die anderen waren wie altes
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