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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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schließlich faßte ihn Jane beim Haar, zog ihn zu sich herauf und küßte ihn, und er huldigte ihr mit allem, was er hatte.
    Technisch gesehen war die Zeremonie vorüber. Aber in praktischer Hinsicht war das, was als nächstes kam, äußerst wichtig. Der Zweck dessen, der kleinen Jane einen Namen zu geben, bestand darin, sie kooperativ und nachgiebig zu machen, sie zu einer Freundin und Verbündeten fürs Leben zu machen. Ihr zukünftiges Verhalten würde in großem Ausmaß von der Qualität der ersten Erfahrung nach der Namensgebung beeinflußt.
    Eine Weile lang konzentrierte sich Jane darauf, daß es eine gute Erfahrung würde. Dann wurde sie abgelenkt. Jimmys Gesicht wurde rot, und er stieß keuchende Laut aus, wie eine defekte Dampfmaschine. Jane schlang ihm die Beine fest um die Hüfte und zog ihn so fest an sich, wie sie konnte.
    Dann kam sie, und das Zimmer füllte sich mit Schmetterlingen.
    Jimmy sah erstaunt auf. Seine Miene war verdutzt, und ihm stand der Mund offen. Dann brach er in Gelächter aus. Überall waren leuchtende Flügel. Rote, orangefarbene und kobaltblaue Flocken entstanden und vergingen in einem fließenden Muster, das man aus dem Augenwinkel erhaschen, jedoch nicht fassen konnte. Es war, als befände man sich im Innern eines Kaleidoskops. Jimmy atmete einen winzigen Schwalbenschwanz ein und hätte sich beinahe verschluckt, und als ihm Jane auf den Rücken geklopft hatte, lachten beide bereits hemmungslos.
    Rasch zogen sie sich die Kleider an und scheuchten den größten Teil der Insekten mit wehenden Handtüchern hinaus auf den Flur. Gerade als sie die Tür schlossen, trat der Flurwart aus seinem Zimmer, ging brüllend den Flur auf und ab und versuchte, den Verantwortlichen zu finden. Jane mußte sich mit dem Gesicht nach unten aufs Bett legen und in ein Kissen beißen, um das Kichern zu unterdrücken. Sie hatte Seitenstiche. Einmal kam der Wart direkt an ihre Tür und stand lauschend da, und sie wären fast entdeckt worden.
    Es schien ein vielversprechender Anfang.

    Am nächsten Tag war es warm, gar nicht der Jahreszeit entsprechend, und Jane ging nur mit einer Windjacke hinaus zum Campanile. So lange sie sich erinnern konnte, hatte der Campanile niemals geläutet. Vielleicht fehlte dafür das Geld. Aber an einem guten Tag war es ein feiner Ort, um mit ein paar Freunden herumzuhängen, etwas Sonne abzubekommen und vielleicht high zu werden.
    Ein launischer Wind peitschte Janes Haar zurück. Sie steckte die Hände in die Hüfttaschen und stemmte sich dagegen. Von der Spitze von Tintagel aus, sah sie die drei anderen Universitätsgebäude und dahinter die zusammengedrängten großen und kleinen Gebäude, die die Große Graue Stadt bildeten. Sie waren wie eine Armee aus Stein, die zu einer Schlacht irgendwo jenseits des Horizonts marschierte. Grau und verschwommen wirkten sie vor einem Himmel, der so weiß war wie ein leeres Blatt Papier.
    Sirin war noch nicht eingetroffen, doch Jane drehte sich auf jeden Fall einen Joint. Sie benötigte drei Streichhölzer, bis sie ihn angezündet hatte. Sie inhalierte, schloß die Augen und stieß den Rauch langsam aus. Sie lehnte sich gegen einen der Stützbalken des Campanile und starrte zu den schwarzen Bronzeglocken hinauf, die von weißem Spatzenkot gestreift waren.
    Dann überkam sie eine Art trostloser Heiterkeit. Irgendwie würde sie überleben, sich Geld besorgen, um ihre Ausbildung zu beenden und sich einen Platz in der Welt zu schaffen. Die blinden klippengleichen Fassaden der Stadt überzeugten sie davon. Sicherlich mußte es in einer so weiten und anonymen Stätte genügend Nischen geben, daß jemand so Kleines und Unbedeutendes wie sie durchkäme.
    »Verfluchte Aussicht, was?«
    Sie drehte sich um. Der Sprecher hockte auf dem Rand der steinernen Brüstung. Er hatte Brauen wie ein Affe, war kinnlos, hatte schmale Augen, eine hängende Lippe, Stupsnase, Hüften wie ein Sphinx und war alles in allem charmant. Ein brutales Licht schimmerte in den Schlitzaugen. Es war ein Wasserspeier.
    »Ja«, sagte sie. »Ja, das stimmt.«
    »Du willst dich den ganzen Tag lang daran festhalten?«
    Jane blickte auf ihre Hand hinab und dann hinauf zu dem Wasserspeier. Sie grub im Rucksack nach etwas mit dem richtigen Gewicht. Dann legte sie den Joint auf die Brüstung und sicherte ihn mit einer Puderdose. »Möchtest du einen Zug?«
    »Wenn du nichts dagegen hast.« Der Wasserspeier latschte heran und streckte einen langen affenähnlichen Arm aus. Die stumpfen

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