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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Art traurigen Frieden gefunden. Die Brauen und die Haut an den Augenwinkeln waren zusammengezogen, als spähe sie in eine große Ferne. Aber der Mund war entspannt und unbesorgt. Sie hatte keinen freudigen Gesichtsausdruck, sondern den Ausdruck von jemandem, der nach einer langen Schlacht gegen das Leiden einen hart errungenen Waffenstillstand erreicht hat.
    »Sie ist eine Sterbliche«, sagte Incolore. »Ein Wechselbalg wie du.«
    »Ich weiß ganz bestimmt nicht, was Sie ...«, fing Jane an. Als sie dann jedoch den nachsichtigen Ausdruck sah, der sich über Fata Incolores Züge ausbreitete, sagte sie: »Woraus schließen Sie das?«
    »Ich bin im Geschäft, mein liebes Kind, erinnerst du dich? Du konntest deine Natur vor mir ebensowenig verbergen wie vor Rocket.« Sie lachte kurz. »Mach dir keine Sorgen, dein Geheimnis ist bei mir sicher. Was soll das bißchen Schwund, wenn das Lager so voll ist?«
    Jane ließ einige Zeit verstreichen, ehe sie fragte: »Was ist mit ihr los?«
    »Die Dornröschen-Krankheit.« Fata Incolore tunkte ihren Zigarettenstummel in das Wasserglas und klopfte eine weitere Zigarette aus der Packung. »Sie tritt unter Wechselbälgen eines gewissen Alters auf. Wechselbälge gehören nicht wirklich hierher. Die Welt weist sie ab, oder sie weisen die Welt ab. Das ist schließlich auch dein Schicksal. Erschreckt dich das?«
    »Ja.« Jane blickte fasziniert in das Gesicht der Frau - im Versuch, sie zu verstehen, im Versuch zu ergründen, welche fremdartigen Träume im Theater ihres schlafenden Gehirns abliefen. »Nein. Ich weiß nicht. Wer ist das?«
    »Ihr Name ist Elisabeth.«
    »Elisabeth.« Jane schmeckte den Namen, genoß die exotischen Silben. Dies war die erste vollblütige Sterbliche, der sie, sich selbst ausgenommen, jemals bewußt begegnet war. »Sie sieht aus, als hätte sie ein schweres Leben gehabt.«
    »Wie könnte es auch anders sein?« Auf dem kleinen Tisch neben dem Fenster standen eine Vase mit welkenden Blumen, Incolores Trinkglas-Aschenbecher und eine verdrehte Bonsai-Pinie in einem glasierten Keramiktopf. Incolore hob den Topf auf und hielt ihn in der flachen Hand. »Dieser Baum ist über ein Jahrhundert alt. Weißt du, wie er in die gewünschte Form gebracht wurde?«
    »Man wickelt Drähte um seinen Stamm, nicht wahr? Man unterdrückt die Aufnahme von Wasser und gibt ihm zum Wachsen nicht viel Erde. Man beschneidet ihn auch.«
    »Ja. Es ist natürlich nur eine Pflanze. Ein zweckdienliches Halbblut erfordert wesentlich mehr Manipulation. Aber wir haben clevere Gärtner. Sie fangen an, indem sie die männlichen Mischlinge und ihre Mütter in kleine Hütten auf einem ummauerten Grundstück verpflanzen, die zu diesem Zweck auf einer südlichen Insel im ewigen Sommer unterhalten werden. Es ist ein lieblicher Ort; du gerietest ins Schwärmen. Das Leben dort ist angenehm. Die Hügel klingen vor Gelächter, und die Mütter werden ermutigt, völlig für ihre Söhne dazusein. Einige weigern sich, und diese jätet man und schickt sie zu denselben Fabriken zurück, die ihre Töchter aufnehmen. Die meisten jedoch - nun ja. Die Göttin hat ihnen nichts anderes übriggelassen, als ihr eigen Fleisch und Blut zu lieben. Sie ziehen ihre Söhne so gut wie möglich auf. Sie versuchen, nicht an die Zukunft zu denken.
    Aber in den Gärten sind Diener, Geschichtenerzähler und andere Wärter, die die Kinder auf untergründige Weise an die edle Herkunft der Väter erinnern. Wenn sie alt genug sind, werden die Knaben in Seide gekleidet und auf einen Besuch zu ihrer Elfen-Halbverwandtschaft gebracht. In den Häusern ihrer Väter bedient man sie an allen Ecken und Enden. Sie schmecken zum erstenmal Wohlstand. Ihnen wird nichts verweigert. Sie werden von ihrer großen Verwandtschaft mit äußerster Herablassung und Geringschätzung behandelt.
    Dann kleidet man sie wieder in Wolle und bringt sie in die Hütten zurück.
    Durch solche kleinen Mittel werden sie geformt. Ehrgeiz wird ermutigt. Unvermeidlich entsteht Neid. In der Pubertät nehmen Kusinen sie mit ins Bett, bringen ihnen höfische Manieren bei und brüskieren sie in der Öffentlichkeit. Ihre Väter stellen deutlich heraus, daß sie von beflecktem Blut sind, Bastarde, die niemals anerkannt werden. Es bleibt ihren sterblichen Müttern überlassen, die Tränen der Demütigung wegzuwischen. Was wird bei dem Ganzen wohl herauskommen?«
    »Sie verachten ihre Mütter.«
    »Genau. Wollen wir mehrere Jahre weitergehen - du kannst sie dir wohl gut vorstellen

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