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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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grauer Nieselregen nach oben. Die Elfenfrau runzelte die Stirn. »Nicht für uns«, sagte sie und schloß fest die Tür.
    Sie landeten schließlich in einem nicht genutzten Schlafzimmer, dessen altertümliche Wandbehänge an den Ringen allmählich einrissen. Die Kerze auf dem Nachttisch war grau vor Staub und neigte sich vornehm zur Seite. Von einem Schrankregal holte die Elfenfrau eine große Pappschachtel herab. Seidenpapier knisterte.
    »Zieh das an!« Sie hielt ein rosafarbenes Kleid hoch.
    Jane gehorchte. Sie faltete ihre Arbeitskleidung sorgfältig zusammen, als sie sie ablegte. Beim Anblick von Janes Unterwäsche machte die Elfenfrau Tss! und holte bessere, aus Seide, aus der Schublade eines Ankleidetischs. »Die auch.«
    Das Kleid war rosafarben wie eine Muschel und hatte Puffärmel. Über dem Mieder war es gerüscht, und der Stoff war verziert mit winzigen rosafarbenen Blumen und grünen Blättern. Die Rüschen reichten bis zur Taille hinab, und dann fiel ihr das Kleid glatt bis auf die Knie. Am Saum war es mit einem weiteren Kreis Rosen verziert.
    Die Elfenfrau sah Jane stirnrunzelnd und rauchend beim Ankleiden zu. »Die Jugend ist bei jungen Leuten die reinste Verschwendung«, bemerkte sie zwischendurch. Fügte jedoch nichts weiter hinzu.
    Das Kleid wurde im Rücken mit Perlknöpfen zugeknöpft. Indem sie ungeschickt nach hinten griff, gelang es Jane, fast alle zu schließen, aber der letzte, ein einziger Perlknopf im Nacken, widersetzte sich. »Oh, um Cernunnos’ willen«, sagte die Elfenfrau. Sie trat energisch vor und knöpfte den Kragen zu.
    »Du kannst dich im Spiegel betrachten.«
    Als sie vor dem ovalen Klauenfuß-Spiegel stand, erwartete Jane, etwas anderes zu sehen als das, was sie sah: sich selbst. Das Kleid war eng am Mieder, und ihre Hüften wirkten darin ausladend. Es war eigentlich für ein jüngeres Kind gedacht. Aber sie sah darin nicht jünger aus, oder anders, sondern es unterstrich peinlich ihr Selbst. Sie hob eine Hand, und ihr Spiegelbild hob verlangend die Hand und wollte sie berühren. Ihre Hand hielt dicht vor dem Spiegel inne.
    »Bitte, Ma’am. Was soll ich tun?«
    »Das wirst du bald genug erfahren.« Sie öffnete die Tür. »Hier entlang.«
    Fünf Minuten später betraten sie einen höhlenartigen Raum. Scheite loderten in einem Kamin mit hohem Bogen. Säulen zu beiden Seiten stützten ein gekacheltes Gewölbe bis hinauf zu einer dreifachen Decke. An den Wänden hingen Gemälde und Photographien in Goldbronze- und Cloisonnerahmen, Geweihe und religiöse Fetische in einer solchen Überfülle, daß das Auge sie nicht erfassen konnte. Regale mit Büchern in herbstbraunen Ledereinbänden standen gleichfalls dort. Als Kontrast dazu war der Fußboden leer, bis auf eine Chaiselongue, einen Schaukelstuhl und einige Läufer.
    Ein Elfen-Gutsherr saß in dem gepolsterten Schaukelstuhl und schaukelte nicht. Er war unglaublich alt, gebräunt und knorrig wie ein Baumstumpf. Er sah vor sich hin.
    »Vater, dies ist die junge Jane. Sie ist heute abend zum Spielen hergekommen.«
    Die Augen des alten Gutsherren schwenkten herum, ansonsten jedoch regte er sich nicht.
    »Das wird dir gefallen, nicht wahr? Du hast Kinder doch immer gemocht.«
    Jane hätte einen Knicks gemacht, wenn sie gewußt hätte, wie das geht. Aber das wurde offensichtlich nicht von ihr verlangt. Sie stand in der Mitte des Zimmers, während die Elfenfrau eine große Holzschachtel hinter der Chaiselongue hervorholte.
    Noch immer reagierte der Gutsherr nicht. Nur seine Augen waren lebendig, und sie verrieten nichts von seinen Gedanken.
    »Entschuldigen Sie bitte, Ma’am«, sagte Jane. »Aber was fehlt ihm?«
    Steif sagte die Elfenfrau: »Ihm fehlt nichts. Er ist Baldwynn von Baldwynn. Von den Greenleaf-Baldwynns. Du wirst ihm angemessenen Respekt entgegenbringen. Du bist hergebracht worden, um ihm seine Abende zu erhellen. Wenn du dich schicklich beträgst, wird man dir gestatten, regelmäßig hierher zurückzukehren. Ansonsten nicht. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    »Ja, Ma’am.«
    »Du kannst mich Mrs. Greenleaf nennen.«
    »Ja, Mrs. Greenleaf.«
    Die Spielzeugschachtel ruhte auf dem Kaminvorleger. »Nun«, forderte Mrs. Greenleaf sie auf. »Spiel damit, Kind!«
    Unsicher kniete Jane neben der Schachtel nieder. Sie wühlte darin. Die Schachtel enthielt wunderbare Dinge: Ein Paar Mymble-Stöcke mit Elfenbein- und Perlmutteinlagen. Ein kleines Riesenrad, das wirklich funktionierte und Sitze hatte, die herniederschwangen und

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