Die Tochter des stählernen Drachen
Jane sie verstand, desto mehr ging ihr auf, daß der Drache zumindest moralisch gesehen nicht besser war als Blugg oder sonstwer in der Fabrik.
Dennoch hatten sie etwas gemeinsam.
»Er hat es nicht gewollt«, flüsterte Jane und wußte nicht genau, ob man sie hören konnte. Auf der anderen Seite des Ofens lachten Blugg und der Kobold betrunken. Es war leicht, zwischen dem maushaften Quietschen und dem tiefen, trollhaften Poltern zu unterscheiden. »Ich hätte sowieso nichts dabei zu sagen gehabt.«
Aber die Gegenwart des Drachen war voller Zuneigung und Zustimmung. Dann packte sie ein unwiderstehlicher Zwang. Ihre Füße wurden unerträglich rastlos. Nicht eine weitere Sekunde konnte sie hinter dem Ofen bleiben.
Still und heimlich glitt sie davon.
Es war schließlich an der Zeit, dem Drachen zu begegnen.
4
Jane schlüpfte in den Lagerhof hinaus. Wie eine Hand eine Spielpuppe ausfüllt, so füllte die Gegenwart des Drachen ihren Kopf. Draußen war es kalt, und die Erde war schwarz. Einige wenige bitterkalte Schneeflocken, die ersten des Winters, trieben vom tiefhängenden Himmel herab.
Sie fühlte sich von vielen Augen beobachtet, als sie den schmalen Gang zwischen der Schmiede und der Montagehalle und den berghohen Stapeln eiserner Gußofenplatten zum Verschiebebahnhof entlangging.
Auf der anderen Seite eines Sturmzauns rasselten und klirrten die Drachen mit ihren Ketten. Jane kroch vorüber, wobei sie sich so klein und unscheinbar wie möglich machte. Sie fürchtete sich vor den fleischfressenden Maschinen und war sich deren blutiger und widerlicher Gedanken schmerzlich bewußt. Im Schatten eines Lagerschuppens für einen Propangastank kletterte sie den Zaun hinauf und ließ sich in den Hof fallen.
Ein Drache schnaubte. Erschrocken wich sie zurück, wie ein Blatt vor dem Wind.
Die Drachen ließen sich nicht dazu herab, von der kleinen Gestalt Notiz zu nehmen, die zwischen ihren Schatten dahinschoß; ihr Appetit auf Zerstörung war größer, als daß ihn ein solches Häppchen wie sie hätte befriedigen können. Schlacke knirschte unter ihren Füßen, während sie an den großen hochmütigen Ma schinen vorübereilte. Ihr Ziel war eine nicht mehr genutzte, überwachsene Ecke des Hofs.
Dort, zwischen einem Stapel schwitzenden Feuerholzes und einem kleinen Hügel schwelender Munitionskisten stand der abgewrackte Koloß eines Drachen. Er war halb vergraben unter Brombeersträuchern und vertrockneten Gräsern, Stockrosen und wilden Möhren. Rost hatte Löcher in seine Heizkesselplatten gefressen. Auf seiner Seite waren die Ziffern 7332 aufgemalt, deren Farbe bereits abblätterte.
Jane erstarrte. Sie zitterte vor Entsetzen.
Dies konnte nicht ihr Drache sein! »Er ist nicht lebendig«, flüsterte sie. »Er ist nicht lebendig.« Aber ihr wurde übel angesichts der erschütternden Erkenntnis, daß sie sich irrte. Er lebte, war verkrüppelt und wahnsinnig, hegte einen letzten Funken Leben innerhalb seines zerstörten Rumpfs und suchte Zuflucht bei Halluzinationen. Und sie war in seinem Wahn, in seinen Fluchtphantasien gefangen.
Sie wollte auf dem Absatz kehrtmachen, fliehen und niemals zurückkehren. Aber dann erfaßte sie ein unwiderstehlicher Zwang, und sie verlor die Herrschaft über ihren Körper. Ihre Beine brachten sie zu den Überresten des Drachen. Ihre Arme griffen nach der Leiter, die an seiner Seite hochführte. Die Sprossen knarrten unter ihren Füßen, als sie hinaufstieg.
Sie betrat die ausgebrannte, verrostete und verfallene Kabine, und die Tür schlug hinter ihr zu. Jetzt war sie allein in der Dunkelheit und roch das Gemisch aus verbrannter Kohle und Brennstoff mit hohem Oktanwert. Aus den Tiefen der Maschine ertönte ein Summen. Der Fußboden zitterte schwach, und das Zittern stieg ihr die Beine hoch. Die Luft war warm.
Langsam, als drehte eine unsichtbare Hand an einem Schieberegler, gingen die Lampen am Armaturenbrett an. Ein weiches grünliches Licht übergoß das Innere des Drachen.
Die Kabine hatte sich verändert.
Was Rost und verkohlter Kunststoff gewesen war, waren jetzt verchromter Stahl, optische Linsen und ebenholzglatte Oberflächen. Der angekokelte Sockel in der Mitte der Kabine war die Pilotenliege aus dunkelrotem Leder mit gepolsterten Armstützen.
Jane glitt in die Liege, die sich auf ihr Gewicht einstellte, sie an den Hüften umschloß und sich hob, um ihr den Rücken zu stützen. Alles war genau dort, wo es sich laut Zauberbuch befinden sollte. Sie ließ die Hände über
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