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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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entschied sich schließlich für eine pfirsichfarbene Seidenbluse. Die halblange Hose wäre in Ordnung, wenn die Schuhe stimmten, aber da sie ein schäbiges Paar Turnschuhe trug und es so gut wie unmöglich war, Schuhe von wirklich passender Größe zu stehlen, entschloß sie sich, statt dessen teure Jeans zu klauen. Sie brauchte auch eine Handtasche, gutes Make-up und ein Halstuch, das überteuert aussähe, selbst wenn man die darin hineingesteckte Arbeit berücksichtigte. Billiger Modeschmuck und eine verspiegelte Sonnenbrille vervollständigten das Aussehen. Ein Blick auf die schäbigen Turnschuhe und den arrogant über absoluter Top-Designer-Mode getragenen Plastiktand, und selbst der scharfsinnigste Verkäufer würde denken: Elfen-Göre.
    Sie brauchte drei Tage, bis sie alles beisammen hatte. Von Zeit zu Zeit mußte sie etwas kürzer treten, damit sie nicht die Aufmerksamkeit des Wachpersonals erregte. Sie mußte Nahrung stehlen. Die Göttin allein wußte, wie viele Ausflüge zu den öffentlichen Toiletten notwendig waren, bis die Verwandlung vollständig war.
    Aber es war die Sache wert. Als sie Oberons Haus betrat, riß sich ein Orend fast das Bein aus, damit er sie vor einem anderen Verkäufer erreichte. Sie besprachen, was Jane suchte, und dann bat er sie zur drittbeeindruckendsten Schmuckvitrine im Geschäft. Der Orend schloß die gläserne Abdeckung auf und schwang sie zurück, so daß Jane den Inhalt genauer unter die Lupe nehmen konnte.
    Jane ließ gelangweilt einen Zeigefinger an den Reihen von Broschen entlanglaufen und hielt inne.
    Auf den ersten Blick wirkte die Brosche wie ein silberner Mond im ersten Viertel, der auf der glänzenden Sichel von Narben und Kratern übersät war und sich im dunklen Teil in einen eloxierten Schaltkreis verwandelte. Aber bei näherer Untersuchung erwies sich der aufgedruckte Schaltkreis als ein kompliziert geätztes und gekerbtes Labyrinth, in dessen Herz ein einzelner winziger Smaragd wie eine grüne Träne frei herumkullerte. Jane berührte ihn mit einem ihrer nicht abgekauten Fingernägel und beobachtete, wie er einem schwierigen Pfad durch die gewundene Schwärze folgte. »Die würde Gwen gefallen«, keuchte sie.
    Der Verkäufer nannte einen Preis.
    »Ach«, sagte Jane bedauernd. »Nein. Nicht diese Woche. Mutter würde Zustände kriegen.« Als der Orend die Vitrine schließen wollte, drehte sich Jane weg und fragte: »Was ist mit diesem schwarzen Korallending, dem Halsband? Ist es etwas billiger?«
    Der Verkäufer sah auf, um der Richtung zu folgen, die sie mit dem Finger wies, und da griff Jane hinter sich zu der Stelle, wo die Brosche lag, und schnappte sie sich. Der herabkommende Deckel streifte sie an den Fingerknöcheln wie der Hauch von einem Mottenflügel, und dann stopfte sie ihren Fang in die Gesäßtasche ihrer Jeans.
    »Oh, beträchtlich billiger.«
    »Dann bin ich nicht interessiert.« Jane ließ sich von dem Orend zwei weitere Vitrinen vorführen und verabschiedete sich dann höflich und selbstsicher.
    Am heiligen Brunnen warf Jane einen Glücks-Kupferpfennig ins Becken und schaute sich dann ziemlich lange um, damit auch ja niemand zusah. Daraufhin grub sie das Schmuckstück aus der Hose.
    Eine Hand schloß sich über der ihren und drückte ihr die Brosche so fest in die Handfläche, daß ihr die Nadel in die Haut stach.
    »Ertappt!« sagte Strawwe.
    »Au!« Jane riß sich los und saugte an der winzigen Wunde. »Ich blute, Arschloch!«
    »Das hilft dir nicht.« Er starrte sie glotzäugig wie immer an. »Wir wissen jetzt seit einiger Zeit, wie du deine Diebstähle begehst. Grunt hat dir gesagt, daß wir aufpassen. Wir haben aufgepaßt.«
    Jane sagte nichts.
    »Ich hätte dich nicht schnappen müssen, um dich anzuzeigen. Ich hätte lediglich sagen müssen, daß ich dich beim Klauen beobachtet habe. Sie hätten mir geglaubt.« Er faßte sie beim Kinn und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. »Zweifelst du etwa daran?«
    Sie schlug seine Hand beiseite. »Warum reden wir dann überhaupt?«
    »Ich werde dir ein Angebot machen, und du sollst wissen, daß ich es ernst meine.«
    »Was für ein Angebot?«
    »Du und ich, wir sind von der gleichen Art.« Strawwe schwieg so lange, daß sich Jane allmählich fragte, ob seine Worte irgendeinen Sinn ergaben und sie einfach nur zu dumm war, ihn zu begreifen. »Ich weiß nicht ...«, begann sie. »Wir beide sind Außenseiter«, sagte er. »Wir mögen die anderen nicht. Wir haben Fähigkeiten, die die anderen nicht

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