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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Geheimpolizei, vor der selbst Minister zitterten.
    »Gott segne euch alle!« rief Rasputin, als er das Haus betrat und die Wartenden sah. Er hob die rechte Hand in Augenhöhe und verharrte so ein paar Sekunden in stummem Segen. Die Frauen und Mädchen senkten den Kopf, die Männer atmeten tiefer und lauter, oben in der Tür erschien eine dicke Frau in einer langen weißen Schürze und blickte über das Treppengeländer hinunter zum Eingang.
    »Wo bleibst du, Väterchen?« rief sie. »Ein Telefongespräch aus dem Schloß. Die Zarin wollte dich sprechen …«
    Im Treppenhaus breitete sich ehrfurchtsvolle Stille aus. Die Zarin hatte angerufen. Wo in Rußland hatte man das schon gehört? Die Zarin ruft einen Muschik an! Wie mächtig war Grigori Jefimowitsch …
    »Gott wird euch allen helfen!« sagte Rasputin mit tiefer Stimme, als er die Treppe hinaufging. Die Frauen faßten an seinen Pelz und küßten seinen Mantel, die Männer sahen ihm in die Augen, um einen Blick zu erhaschen, ein Blinzeln, ein Wort zu hören … sie drängten sich alle gegen die Wand, um die Treppe freizuhalten, und sie betrachteten das Kind, das Väterchen Grischa folgte und das ihm ähnlich sah, als sei es seine Tochter.
    »Geht nach Hause!« sagte Rasputin, als er an der offenen Wohnungstür stand. Die dicke Frau in der weißen Schürze, eine Art Haushälterin war sie, nahm Nadja an die Hand und führte sie in den Vorraum. »Heute hilft euch noch das eigene Gebet. Morgen wird Gott wieder durch mich sprechen. Schlaft und glaubt an die Kraft des Himmels. Es wird euch allen geholfen werden …«
    Dann ging er in die Wohnung und warf die Tür hinter sich zu.
    Er zog den dicken Pelz aus, strich sich durch den vereisten Bart, der nun in der Wärme des Raumes auftaute und naß wurde, und legte den Arm um Nadja.
    »Hast du Hunger, mein Liebling?« fragte er.
    »Ja, Väterchen, sehr.« Nadja sah sich um. Ein großes Zimmer war es, das sie jetzt betraten, nicht prunkvoll eingerichtet, aber immer noch wertvoller als die Zimmer im großen Haus von Podunskoje. Eine seidene Tapete hatte es, einen großen Tisch mit einer weißen Decke, viele Stühle mit Samtbezügen, sogar ein Teppich lag auf den gewachsten Dielen.
    »Bist du so reich, Väterchen?« fragte sie, als sie sich brav an den Tisch setzte, der schon mit weißem Porzellan gedeckt war. Eine Platte mit köstlich duftendem Kuchen stand genau vor ihr.
    »Nichts gehört mir, mein Engelchen.« Rasputin setzte sich neben Nadja, legte ihr den Kuchen auf den Teller und schenkte ihr dampfenden Tee in eine Tasse. Dazu ließ er einen Löffel Honig hineinlaufen und rührte ihn um. »Ich bin ein armer Mensch«, sagte er dabei. »Und ich werde es bleiben. Ich diene Gott, und wer Gott dient, entsagt allen irdischen Gütern. Das alles hier ist nur geliehen, mein Töchterchen. Man hat mir Kleider geschenkt, bestickte Hemden, Samthosen, schöne, weiche Stiefel, aber hier …« er klopfte auf seinen Rock, »die Taschen sind leer. Was ich esse – gute Menschen bringen es mir. Die Wohnung ist ein Geschenk. Ich bin nur ein Gast hier … ich werde immer ein Gast auf dieser Erde sein, weiter nichts …«
    Nadja aß, wie alle Kinder essen, wenn sie einen Teller voller Kuchen vor sich haben und keiner sagt: Nur ein Stückchen … Und Rasputin sah ihr glücklich zu. Als er merkte, daß ihr Köpfchen auf die Brust sank und die Lider schwer wurden, hob er sie auf seine starken Arme und trug sie nebenan in ein kleines Zimmer, in dem nur ein Eisenbett stand, ein alter Schrank und ein Stuhl. Er zog Nadja aus, küßte ihren weißen Kinderkörper, legte sie unter dicke Decken und breitete ein Biberfell noch darüber. Dann saß er auf der Bettkante, hielt die kleinen Hände fest und dachte an die glücklichen Stunden in Podunskoje bei Helena Feodorowna Woronzowa.
    »Du wolltest mir etwas erzählen, Väterchen«, sagte Nadja im Halbschlaf. Rasputin beugte sich tief über sie.
    »Was wollte ich erzählen, mein Engelchen?«
    »Von der Zarin … wie du den Zarewitsch geheilt hast … wie du ein berühmtes Väterchen geworden bist …«
    Rasputin lächelte still. Er strich über die langen Haare Nadjas und wickelte die Locken um seine Finger.
    Und dann erzählte er, und seine Stimme war so tief und voller Melodie, daß Nadja darüber einschlief, als habe man sie in den Schlaf gesungen.
    7. Oktober 1907. Abends neun Uhr.
    Der Leibarzt Dr. Derewenko saß im Nebenzimmer und starrte auf den Zaren. Der riesige Matrose, der den Zarewitsch

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