Die Tochter des Teufels
herankam.
»Was glotzt du mich so an?« sagte er mit lauter, harter Stimme. »Wo ist der Zarewitsch?«
»Hier entlang!« Die Wischniakowa drehte sich um und rannte voraus. Über eine Reihe selten benutzter Gänge, durch dunkle Zimmerfluchten und Treppenhäuser hallte der Schritt Rasputins.
»Hier«, sagte die dicke Wischniakowa atemlos. »Hier …«
Einige große, erleuchtete, prunkvolle Zimmer … das Spielzimmer des Zarewitsch … das Vorzimmer … Die Wischniakowa riß die Tür auf.
Der riesige Matrose, der Leibwächter des kleinen Thronfolgers, trat ihnen entgegen. Er starrte den Besucher sprachlos an und war sichtlich verwirrt. Die Großfürstin Stana zeigte auf die verschlossene Tür des Krankenzimmers.
»Dort«, sagte sie. »Väterchen Grigori …« Ihre Stimme zerbrach wie Glas mit einem schrillen Ton.
Die Wischniakowa öffnete vorsichtig die Tür. Aber ehe sie etwas sagen konnte, drängte Rasputin sie zur Seite und betrat mit polternden Schritten das stille Zimmer.
Rasputin warf einen Blick über das Zimmer. Nur den Bruchteil einer Sekunde blieb er auf dem fiebernden Gesicht des kleinen Jungen haften und auf den großen Augen, die ihn angstvoll anstarrten.
»Habt keine Angst mehr!« sagte Rasputin laut.
Mit weiten, dröhnenden Schritten ging er auf den Zaren zu, umarmte ihn und küßte ihn nach alter russischer Sitte auf beide Wangen. »Gott segne dich, Papa!« sagte er dabei und übersah den entsetzten Blick der Wischniakowa und die stumme Abwehr des Zaren. Dann ging er weiter zur Zarin, umarmte auch sie und küßte sie auf beide Wangen. Das war so ungeheuerlich, daß die Wischniakowa sich bleich an die Wand lehnte und fassungslos die Hände rang. Ein dreckiger, ungepflegter, nach Zwiebeln stinkender, ungekämmter Muschik küßt die Zarin!
»Gott segne dich, Mama!« sagte Rasputin ungerührt. »Weine nicht mehr … ich bin gekommen.«
Die Zarin rührte sich nicht. Gelähmt war sie durch den Anblick des wilden Menschen, der da ins Zimmer gepoltert war, gelähmt von der tiefen Stimme, gelähmt von dem Blick der kleinen tiefblauen Augen, die ein kaltes Feuer ausstrahlten wie ein Stern in der Winternacht. Sie sah zu dem bärtigen, ungekämmten, nach Alkohol und ungelüfteter Wäsche riechenden Mann auf, und in ihrem Blick lag die unendliche Bitte aller leidenden Mütter: Hilf! Hilf, wer du auch seist …
Rasputin sah sich um. In der Zimmerecke hingen die geweihten Ikonen, brannte das winzige Ewige Licht. Er ging mit dröhnenden Schritten darauf zu, fiel dann auf die Knie, und seine Stimme wurde leise und monoton, als er mit seinen Gebeten begann, die niemand verstand.
Von seinem Bett aus beobachtete ihn das kranke Kind. Der Zar und die Zarin hatten die Hände gefaltet, als beteten sie mit. Ein Zucken ging durch alle, als sich Rasputin plötzlich erhob, mit ein paar schnellen Schritten am Bett des Zarewitsch stand und mit einer weiten Handbewegung das Kreuz über dem Körper des Kindes schlug.
Ein heller, kurzer Schrei durchzitterte die Stille. Der Zarewitsch starrte mit weit geöffneten Augen Rasputin an. Es war, als wolle er ausweichen, als sich der Mann mit dem struppigen Bart auf das Bett setzte und seine Hand ausstreckte. Aber dann – als die große Hand sich langsam auf die Stirn des Kindes legte – verwandelte sich fast unheimlich das Gesicht des Zarewitsch. Alle Verzerrung, alle Qual, aller Schmerz der letzten schrecklichen Tage wichen aus dem schmalen Antlitz. Das immerwährende leise Weinen verstummte, das Zittern des mageren Körpers verschwand …
Rasputin schlug ohne ein Wort die Decke zurück.
»Hab keine Angst, Aljoscha …«, sagte er mit tiefer, eindringlicher, fast singender Stimme. Seine Hände glitten über den verkrümmten Körper des Zarewitsch hinweg, aber sie berührten ihn nicht. Millimeter über dem Körper schwebten sie dahin, streichelten und glitten hin und her, näherten sich der schrecklich geschwollenen Hüfte, schwebten dort wie ein Dach und senkten sich schließlich zu den Beinen.
»Du wirst wieder gesund werden …«, sagte Rasputin. »Du hast schon gar keine Schmerzen mehr … Sieh, ich nehme sie dir weg, meine Hände jagen sie weg. Fühlst du es? Dein Bein hat keine Schmerzen mehr … aus deinem kleinen Bauch flüchten sie … aus der Brust … aus deiner ganzen Seite … Gar keine Schmerzen sind mehr da … du kannst dich ausstrecken und schlafen, ganz tief schlafen … Und wenn du morgen aufwachst, wird man dir die Sonne am Himmel zeigen, und du bist
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