Die Tochter des Teufels
gesund … ganz gesund … Nichts tut mehr weh … gar nichts …«
Rasputin schwieg. Der kleine Zarewitsch starrte ihn noch immer an, aber aus seinen Augen war alle Angst gewichen. Ohne zu stöhnen oder aufzuschreien, wie noch vor einer Viertelstunde, bewegte er sich, streckte das bis zur Brust emporgezogene Bein. Mit großer Anstrengung, aber ohne den geringsten Schmerzenslaut, versuchte er sogar, sich auf den Rücken zu drehen, um Rasputin besser sehen zu können … dann streckte er die Hand aus, eine stumme Geste: Hilf mir, mich aufzurichten.
Die Zarin überflog ein Zittern, sie beugte sich vor, wollte das Kind daran hindern, aber Rasputin schob sie mit der linken Hand weg. Der Zar saß erstarrt neben der Zarin, sein bleiches, schmales Gesicht zuckte.
»Siehst du, wie die Schmerzen weggelaufen sind?« sagte Rasputin. »Du wirst nie wieder Schmerzen haben, und alles, was in deinem Körperchen weh tut, wird verschwinden wie Schnee in der Frühlingssonne. Als ich so alt war wie du, Aljoscha, da habe ich etwas erlebt. In Sibirien war's … ja, von Sibirien will ich dir erzählen, von den weiten Steppen und den unendlichen Urwäldern, wo die Sträucher und Blumen und Bäume sprechen können und eine Seele haben wie du und ich. Ja, riesig ist dieses Sibirien, Flüsse durchfließen es, die so breit sind, daß man die anderen Ufer nicht mehr sieht … man kann wie ein Adler in die Luft steigen und in die Runde blicken … alles, was du dann siehst, von Horizont zu Horizont, alles, was unter dem Himmel liegt, ist immer noch Sibirien, und es gehört deinem Papa, und es wird einmal Aljoscha gehören, wenn er groß und stark geworden ist …«
»Das … das ganze Land …«, flüsterte der Zarewitsch. Es war das erstemal seit Tagen, daß er sprach.
»Einmal saß ich in unserem Dorf in Sibirien, Pokrowskoje heißt es, am Ufer der Tura. Da kam eine Wildente zu mir, sie fiel mir fast in den Schoß, und sagte zu mir: ›Grigori Jefimowitsch, ein Pfeil hat meinen rechten Flügel durchbohrt, kannst du mir helfen?‹ Und ich konnte es. Ich machte eine Schiene, ich pflegte die Ente, ich fütterte sie mit gekochten, zerbröckelten Eiern, und als der Flügel wieder gesund war, schwebte sie davon, kreiste über dem sonnenglänzenden Fluß und verwandelte sich in einen Sonnenstrahl, der mir tief ins Herz drang. Seitdem trag ich ihn in mir, diesen Sonnenstrahl, und alle, die meine Freunde sind, spüren, wie seine Wärme aus meinen Händen dringt …«
Der Zarewitsch nickte leicht. »Ich spüre es …«, flüsterteer. »Ich spüre es Väterchen …«
Seine Augen glänzten. Aber es war kein Fieber mehr, es war helle Freude. Sogar seine mageren Ärmchen stemmte er auf und wollte sich im Bett aufsetzen. Die Zarin und der Zar schreckten hoch.
»Aljoscha!« rief die Zarin zitternd. »Beweg dich nicht. Bitte … du darfst dich doch nicht bewegen …«
Es war zu spät. Der kleine Junge saß bereits. Nicht ein Ton des Schmerzes kam von seinen Lippen, im Gegenteil, er lächelte.
»Laß mich, Mama«, sagte er klar und laut. »Er kann so schön erzählen … Bitte, bitte, erzählt weiter, Väterchen …«
Rasputin richtete sich auf und sah die sprachlose Zarenfamilie an. Seine tiefen blauen Augen schimmerten.
»Recht hat er«, sagte er. »Nichts tut ihm mehr weh. Was soll ihm noch weh tun? Hab keine Sorge, Papa … weine nicht mehr, Mama … Aljoscha ist gesund! Solange ich bei ihm bin, wird ihm nie mehr etwas geschehen. Glaubt an die Kraft Gottes, die durch mich zu euch gekommen ist.«
Rasputin beugte sich vor und legte seine rechte Hand wieder auf die Stirn des Kindes. Der Zarewitsch rutschte zurück, lag auf dem Rücken, streckte sich und atmete tief und regelmäßig. »So spät ist es schon …« Die Stimme Rasputins nahm wieder den singenden, monotonen Tonfall an. »Du bist so müde, Aljoscha … spürst du es … ganz müde bist du … du wirst schlafen … schlafen … Nichts tut mehr weh … weggelaufen sind die Schmerzen … nur müde bist du … und du legst dich so hin, wie du immer liegst, wenn du schlafen willst … streck dich, schlafe … schlafe … Aljoscha …«
Die tiefe Stimme verwehte.
Der Zarewitsch schloß die Augen. Sein mageres Gesichtchen war überhaucht von Glück. »Kommst du wieder, Väterchen?« fragte er schon im Halbschlaf. »Erzählst du weiter …«
»Von den Tieren in Sibirien, von den sprechenden Bäumen, von den Flüssen mit den silbernen Fischen … Ich komme wieder, Aljoscha. Nun schläfst du
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