Die Tochter des Teufels
Abschied, denn unsicher war's, wann sie wieder nach Podunskoje zurückkehren würde. Zwei Lohnknechte mit ihren Frauen sollten das Haus bewachen, das Vieh versorgen und sich vor allem um Jascha, das Reitpferd, kümmern.
Ein Abschnitt ihres Lebens war beendet. In Petersburg begann ein neuer Teil. Jugend, Sehnsucht, Erfüllung, Einsamkeit und Trauer blieben in Podunskoje zurück … in Petersburg wartete der Glanz, das herrliche Leben, das große Glück an der Seite Grigori Jefimowitschs.
»Dawai, Fjodor!« schrie Helena, als sie im Schlitten saß. »Fahr los, Alterchen! Und blick nicht zurück …«
Und so geschah es. Sie glitten hinunter zum Fluß, betraten das Eis und schabten fast lautlos über die spiegelnde weiße Fläche. Die Pferdchen liefen fröhlich dahin, auf dem Geschirr klingelten die Glöckchen, die alte Klaschka schlief, denn sie hatte auch die letzte Nacht mit Packen zugebracht, und so vergingen die Stunden.
Weit nach Mittag umgab sie völlige Einsamkeit. Die Pferdchen wurden unruhig, und auch Fjodor sah sich öfter um, nestelte seine alte Taschenuhr aus dem Pelz und sah nach der Zeit. Noch drei Stunden, und sie mußten in Leskaja sein, einem Ort, der zur Poststrecke gehörte, wo es ein Gasthaus gab, ein warmes Essen und ein breites Bett.
Durch den Schlitten ging ein wilder Ruck. Die Pferdchen hoben die Köpfe und schrien. Fjodor stieß einen Fluch aus, bückte sich und holte eine Axt aus einem Sack zu seinen Füßen. Die alte Klaschka erwachte und gähnte.
»Was ist, du Schurke?« schrie sie nach alter Gewohnheit.
»Vom Wald her!« Fjodor streckte den Arm aus. »Noch haben sie Angst, aufs Eis zu kommen!«
Helena und Klaschka fuhren herum. Am Waldrand, auf gleicher Höhe mit dem Schlitten, jagten graue Schatten durch den Schnee. Nicht einer oder drei oder fünf … ein langer Streifen rennender Leiber verfolgte sie.
»Wölfe …«, sagte Helena Feodorowna schaudernd. »Mein Gott, wie viele sind es, Fjodor?«
»Zwanzig oder hundert … was macht es, Herrin? Schon einer genügt, wenn er sich auf das Eis wagt!«
Und sie wagten sich auf das Eis. Der Hunger trieb sie dazu, der seit zehn Tagen leere Magen, der Geruch der schwitzenden Pferde, die Witterung des Fleisches. Erst war es der Leitwolf, der mit einem verzweifelten Satz auf den zugefrorenen Fluß sprang und damit seine Angst überwand … dann folgten ihm die anderen Schatten … und plötzlich war die Stille aufgerissen von schaurigem Heulen und heißem Hecheln, vom Trappeln vieler Krallen über das Eis, vom Triumphgeschrei blutgieriger Natur.
»Festhalten!« schrie der alte Fjodor und umklammerte die Vorderholme. »Noch ein paar Werst und wir kommen an eine Siedlung! Betet! Betet!«
Was nutzt das Beten, wenn vierzig hungrige Wölfe schneller sind als Pferde?
Der Leitwolf überholte den Schlitten mit weiten, eleganten Sprüngen. Sein Rachen war rot und dampfte, als er sich vier Meter vor den Pferden auf dem Eis herumwarf, sich duckte und mit einem mächtigen Satz dem linken Gäulchen an die Kehle sprang.
»Satan! Satan!« schrie der alte Fjodor. Er holte mit der Axt aus, traf die Schulter des grauen Würgers, aber zu spät war's schon, der Biß saß in der Kehle, das Pferd bäumte sich auf und stürzte auf das Eis. Noch zehn Meter rutschte es, das andere Pferd verfing sich in der Deichsel, brach in die Knie, und der schwere Schlitten glitt auf die um sich schlagenden Körper, bohrte sich in das warme, dampfende Pferdefleisch und schnitt es auf wie mit einem gewaltigen Messer.
Wie eine dichte graue Wolke brachen die Wölfe über Pferde und Menschen herab, eine Wolke aus wirbelnden Beinen, fletschenden Zähnen, roten aufgerissenen Rachen und kalten, hungrigen Augen.
Die alte Klaschka hatte sich unter die Felle verkrochen und betete. Fjodor stand mit seiner Axt auf dem Eis und drehte sich wie ein Kreisel um sich selbst. Er hieb nach allen Seiten, und von allen Seiten sprangen ihn die Wölfe an und gerieten in den Schwung seiner Axt. Sie kugelten weg, jaulten, leckten sich schnell die Wunde und sprangen von neuem an.
Helena Feodorowna stand im Schlitten, nur mit einem Knüppel bewaffnet, den sie hinter dem Kutscherbock gefunden hatte. Sie schlug auf jeden Kopf, der zu ihr vorschnellte, sie schlug mit einer Kraft, daß die Hirnschalen der Wölfe platzten, sie kämpfte stumm und mit leeren Augen, bis sie spürte, wie ihre Arme schlaff wurden.
Von drei Seiten kamen sie, blutbefleckt und heulend im Blutrausch. Fast gleichzeitig sprangen
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