Die Tochter des Teufels
sprechen, ich muß in seine Seele sehen, ob er würdig ist, dich wiederzulieben. Versprichst du mir das, mein Seelchen?«
»Ich verspreche es, Väterchen.«
In diesem Jahr – es war im August 1912 – sprach das Schicksal zu Nadja Grigorijewna. Die Sonne brannte heiß über Petersburg, die Straßen glühten, und alles ging an der Newa spazieren, in den Parks oder auf den Promenaden der Inseln zwischen Njewka und Großer Newa. Auch Nadja hatte sich auf den Weg gemacht. Sie hatte in Petersburg im Winterpalais etwas abgeholt, ein versiegeltes Paket für die Wyrobowa, und nun spazierte sie allein durch den herrlichen Sommergarten, der Parkinsel zwischen Newa, Moika und Fontanka. Einen seidenen, spitzenbesetzten Sonnenschirm hatte sie aufgespannt, und während sie mit graziösen Schritten über die Wege ging, raffte sie den langen weißen Rock ein wenig und zeigte die schmalen, zarten Knöchel in spitzen, schnallenbesetzten Seidenschuhen.
Sie stand gerade an dem gemauerten Kai und sah hinunter in die blauen Wasser der Fontanka, drehte den Sonnenschirm auf ihrer Schulter und ließ den warmen Sommerwind über ihre Stirn streichen, als zwei elegant gekleidete junge Männer rechts und links an sie herantraten und ihre gelben, aus Panamastroh geflochtenen Hüte lüfteten.
»Ein so schönes Täubchen hat sich noch nie nach Petersburg verirrt!« sagte der eine, ein langer blonder Mensch mit einer pickeligen Nase und aufgeworfenen Lippen. »Darf man fragen, wo das Nestchen ist?«
»Wir hatten ausgemacht, Janis, daß die Schöne selbst entscheiden soll!« fuhr der links von Nadja Stehende dazwischen. Er war etwas kleiner, schwarze Locken umgaben sein weiches, weibisches Gesicht, in dem die Augen flackerten und die fahle Haut zuckte.
Nadja drehte sich um. Eine unbestimmbare Angst schnürte ihr die Kehle zusammen. Die beiden eleganten Männer lächelten sich zu.
»Was wollen Sie von mir?« fragte Nadja laut.
»Es geht um eine Wette.« Der Blonde fächelte sich mit seinem Strohhut Luft zu. »Wir verfolgen Sie seit einer Stunde, schönes Vögelchen. Tichon, mein Freund, sagte, Sie würden hundert Rubel kosten. Das ist ein Preis, den man in Moskau zahlt. Petersburg ist nicht Moskau, meine Liebe … ich glaube, Sie wären mit fünfundsiebzig Rubel gut honoriert …«
»Lassen Sie mich gehen!« Nadja klappte den Sonnenschirm zusammen. So wurde er eine Waffe, wenn es nötig war. »Sie beleidigen mich …«
»Oho, mein Täubchen!« Janis, der Blonde, hielt sie am Arm fest, als Nadja fortgehen wollte. Sie wollte sich losreißen, aber sein Griff war wie eine eiserne Klammer. »Sag nicht, du seist eine Adelige. Wo ist deine Kammerfrau, he? Ein bürgerliches Püppchen bist du, vielleicht die Tochter eines Perückenmachers oder eines Kramhändlers. Was macht's? Hübsch bist du, und ich biete dir, verdammt, zweihundert Rubel für eine Stunde! Das verdient dein Vater nicht in einem Monat!«
Tichon, der Schwarzgelockte, lachte laut. Er packte Nadja am anderen Arm und streichelte ihr mit der freien linken Hand über das Gesicht. Sie warf den Kopf zurück, voll Ekel und Schrecken.
»Welch ein zimperliches Weibchen!« rief Tichon. »Ich mache dir einen Vorschlag, Janis, Bruderherz … wir zahlen dreihundert Rubelchen und teilen uns den Spaß!«
Mit aller Kraft riß sich Nadja los. »Ich rufe um Hilfe!« keuchte sie. »Ich schreie! Sie wissen nicht, wer ich bin!«
»Eine Puppe!« schrie Janis und schob den Strohhut ins Genick. »Hat man das schon gesehen? Ein Bürgermädchen mit Ehre?«
Er lachte hell und wollte nach dem Schirm greifen, mit dem Nadja um sich schlug, als um die Ecke der Rosenbüsche ein hochgewachsener, schlanker Offizier bog, in einer hellen, straff sitzenden Uniform, eine weiße Schirmmütze mit dem Wappen des Zaren auf dem Kopf. Ein schmales schwarzes Bärtchen unter der Nase zerteilte sein braungebranntes Gesicht. Wie ein Südländer sah er aus, nur kräftiger und breiter in den Schultern.
Mit ein paar langen Schritten war er am Kai, und er fragte nicht erst, sondern packte Janis an den Schultern und warf ihn in die Hecke. Noch ehe sich Tichon wehren konnte, taumelte er gegen die Kaimauer und begann aus der Nase zu bluten.
»Sie Flegel!« brüllte Janis und stolperte aus den Rosen heraus. »Was geht Sie an, was hier geschieht? Die Polizei rufe ich!«
Der junge Offizier hatte sich zu Nadja umgewandt und grüßte. »Ist Ihnen etwas geschehen?« fragte er, und beim ersten Ton seiner Stimme zog ein Hauch von
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